Seit Jahren hat Bob Dylan seinen Stammplatz auf der Backlist des Literatur Nobelpreises und so überrascht es mich, dass er den Preis endlich doch noch bekommen hat. Ich bin ein grosser Fan von Bob Dylan. Diesem Poeten, der überhaupt nicht singen kann, der aber die Bedeutung von Rythmus und spannungsgeladenen Zeilen kennt. Nur Dylan kann diese Cliffhanger in seinen Liedern einbauen, diese Hundertstelsekunden, bevor er auf das letzte Wort der Zeile aufspringt und dann wieder eine weitere Hundertstelsekunde dehnt, bevor er die nächste Zeile beginnt. So dass es eben dann ganz und gar nach Dylan klingt. Und dieser Dylan Sound funktioniert nur, weil seine literarischen Songtexte es schaffen, ein Millionenpublikum zu berühren und zu faszinieren. Viele Literaturkritiker haben versucht Bob Dylans Lyrik zu analysieren. Ein sehr lesenswertes und kompaktes Buch, das sich mit der Entstehung und Entwicklung von Bob Dylans Lyrik befasst, ist „how does it feel, Das Bob-Dylan-Lesebuch“ von Klaus Theweleit.
Dieses Lesebuch enthält eine Sammlung von diversen Texten aus Biografien und Essays über Bob Dylan, die sich mit seiner Musik und insbesondere seiner Lyrik befassen. Klaus Theleweit, der unter anderem eine Biografie über Jimmi Henderix geschrieben hat, ist es gelungen die Musik und die Lyrik Bob Dylans in das Zeitgeschehen einzuordnen und dabei durch die Perspektive vieler verschiedener Autoren die Entwicklung des Robert Zimmerman aus Minnesota zu erklären und zu veranschaulichen. Es ist ein intellektuelles Buch, das die Bedeutung und den Zusammenhang zwischen Musik, Lyrik, Stimme und Persönlichkeit aufzeigt und sich nicht mit Plattitüden zufrieden gibt. Dieses Lesebuch mit dem schrecklich pinkfarbenen Einband hat sich als eine wahre Trouvaille entpuppt. Leider hat Theleweit keine Angaben gemacht zu den einzelnen Autoren, die er zitiert. Es sind aber mehrheitlich Künstlerkollegen und Schriftsteller oder sogenannte Dylanologen – ein wunderbares Wort, über das ich in der Musikkritik über Dylans neuste Platte „shadows in the wind“ im Spiegel stolperte.
„It ain’t me Baby“
Das Buch beginnt mit einem Text von Suzie Rotolo. 1961 traf sie Bob Dylan als 17-Jährige im Greenwich Village in Manhatten und wurde seine erste Muse. Sie beschreibt einen Bob Dylan, der in New York mit seiner Gibson und der Mundharmonika im Stile von Woody Guthrie, einem Wandersänger aus Oklahoma, durch die Bars zog. Sie erzählt, wie ihn die Kinofilme der Novelle Vague von Hitchcock und Francois Truffant beeindruckten. Und Suzie Rotolo war es auch, die den 21-Jährigen mit jungen Poeten bekannt machte und an Rimbaud und Brecht heranführte. Die junge Frau wollte sich jedoch nicht mit ihrer Rolle als Puppe begnügen und die Beziehung mit Bobby zerbrach bereits ein paar Monate später -„It ain’t me baby“.
„Mr. Tambourine Man“
Seine zweite Muse war Joan Baez, von deren Ruhm er profitierte und der er sich anschloss; beide waren 23 Jahre alt, Protestsänger gegen den Krieg und den Rassismus. Ihre Musik war stark beeinflusst von schwarzen Folk-Musikern. Es war die Zeit zwischen Elvis Presley und den Beatles, als Dylan den Begriff des amerikanischen Hippies definierte in Form des Mr. Tambourine Man. Diese Zeit beschreibt Nat Hentoff sehr anschaulich. Er schreibt, dass Dylan viel gelesen hat, insbesondere moderne amerikanische Literatur und Poesie. Er habe Hemingway geliebt, weil der keine Adjektive benutzte „er musste nicht definieren, was er sagte, er sagte es einfach“ zitiert Hentoff Dylan. Da ich ein Literaturfan bin, gefällt mir auch das Kapitel von Willi Winkler, das sich ganz der literarischen Entwicklung Dylans widmet. Winkler erklärt, wie die Beatdichter Allan Ginsberg und Jack Kerouac mit ihrer wilden Assoziationsprosa den 25-Jährigen nachhaltig beeinflusst hätten mit Landstrasse & Literatur: „1965 erreichte Dylan einen, seinen frühen Höhepunkt: Bringing It All Back Home und Highway 61 Revisited“. Winkler behauptet: „Erst Bob Dylan gelang es, die Methode der freien Assoziation, Kerouacs Erfindung, durchzusetzen.“
„You loose yourself, you reappear“
Wie eine Juxtaposition wirkt im Buch der literarische Text „Karl, Bob Dylan und ich“ von Elke Heidenreich. Was hat denn die Literaturkritikerin Elke Heidenreich in einem Bob Dylan Lesebuch zu suchen??? Obwohl ich ihre Auftritte im SRF Literaturclub unerträglich finde, muss ich eingestehen, dass sie wirklich gut schreiben kann, denn sie findet genau die richtigen Worte, um das Phänomen Dylan zu beschreiben, während sie im Fernseher mit ihrem Liebsten wahrscheinlich das Dylan Konzert vor dem Papst am 27. September 1997 verfolgt: „Er war soviel kleiner und zarter als alle anderen, er hatte kurze Locken und trug ein kurzes Jäckchen. Um seinen Mund waren tiefe, scharfe Falten, und er schloss die Augen, spielte Gitarre und sang. Sang? Er näselte, krächzte und schlurfte mit der Stimme wie ein besoffener Mann, wie ein wunder, knurrender Strassenköter. Nach den vorhergegangenen Gitarrengewittern fühlte man das Erschrecken über so viel Stille gegen den Strich. Da stand er ohne Gehampel, ohne scharfe Gitarrenriffs und Gitarrenklamotten, und er hatte die Welt immer für uns alle in Poesie gebracht und flüsterte:“It’s alright, Ma, I’m only bleeding…..you lose yourself, you reappear, you suddenly find you got nothing to fear.“
„Shelter from the Storm“
Im Dezember 1966 hatte Bob Dylan einen Autounfall. Danach ging er sieben Jahre nicht auf Tour und heiratete Sara Lowndes, die er in einem Striplokal kennen gelernt hatte. Er wurde ein „family man“, was seine Fans nicht verstanden. Noch weniger goutierten sie sein Experiment als Christ, als er ein paar Jahre lang mit farbigen Gospelsängern auftrat und kaum Platten verkaufte. Er liess sich von Sara Lowndes scheiden und heiratete 1978 heimlich Carolyn Davis, eine seiner Background-Singers, die sein sechstes Kind gebar. Es war in dem Jahr als ich Joan Baez am Open Air in Abtwil (Vorgänger des Open Air St. Gallens) zuhörte und im Schlamm versank. 1988 liess sich Bob Dylan von Carolyn Davis scheiden und startete seine „Neverending Tour“. Er gab 105 Konzerte in einem Jahr, weil er, so wurde gemunkelt, den Millionenzahlungen an seine Exfrauen nachkommen musste. Andere Stimmen behaupten, er hätte das Geld mit Drogen verjubelt. Die letzten zwei Kapitel des Bob-Dylan-Lesebuch widmete Theleweit den Nullerjahren: den Chronicles, der musikalischen Autobiografie Dylans und den über hundert Theme Time Radio Hour Radiosendungen, die Dylan zwischen 2006-2009 produzierte.
„Tangled up in Blue“
Letztes Jahr sah ich den 74-jährigen Bob Dylan zum ersten Mal live im Musical Theater Basel. Ich sass in der 21. Reihe. Dylan im schwarzen Anzug, sehr fragil und wacklig auf den Beinen, versteckt unter seinem hellen Thunderclap– Hut. Hinter ihm eine fünf Mann starke Band, die Dylans Stimme mit heulenden Elektrogitarren, Schlagzeug, Kontrabass, Orgel, Gibson oder Banjo durch die Show trugen. „Der kleine Gitarrenzupfer“, wie er einst liebevoll von Joan Baez genannt wurde, kam ohne seine Gibson, aber sein wichtigstes Zauberinstrument tönte dafür wie ein schnurrender Kater und verteilte ungewohnt weiche Streicheleinheiten. Brausende Liebeswellen klatschten der Bühne entgegen; die Fans waren dankbar für jeden musikalischen Krümel. Folk, Blues, Rock, sogar kitschige Hula- Hawaii-Klänge und Texas-style-Country. Dylan zerpflückte seine alten Lieder und Stücke von Frank Sinatra und setzte sie in kubistischer Weise zu einem ganz neuen Werk zusammen. Aber nur bekannte Klänge wie „Tangled up in Blue“ brachten das Publikum zum rufen und pfeifen. Wir Zuschauer sind eben ganz so, wie es Langenbacher in der Ausgabe Du im Mai 2001 beschrieben hat: „Ja, Dylan ist ein Grufti, war es von Anfang an – und wir sind die im Resonanzraum, vielleicht schon im Mausoleum seiner Songs Sitzengebliebenen.“
how does it feel, Das Bob-Dylan-Lesebuch von Klaus Theleweit, Rowohlt Verlag, 2011, Preis 28.50 Franken