Was qualifiziert einen mässig erfolgreichen Staubsaugerverkäufer dafür, im Auftrag des britischen Geheimdienstes ein neues Spionagenetzwerk auf Kuba aufzubauen? Die Antwort kann ich hier verraten, ohne zu viel vom Inhalt von „Our Man in Havanna“ preiszugeben: Eigentlich nichts.
Eigentlich gar nichts. Zumindest nicht, wenn es sich bei diesem Staubsaugerverkäufer um James Wormold handelt, die Hauptperson in Graham Greenes Roman. Denn Wormold ist, nun ja, sagen wir mal: ein recht einfacher Mann. Er hat kaum Kontakte auf der Insel, obwohl er schon ewig dort lebt; er ist nicht eben ehrgeizig und auch nicht unbedingt der fixeste Denker. Dass die Insel von einem Diktator namens Battista regiert wird, dass sich in den Bergen Rebellen herumtreiben (unter der Führung eines gewissen Fidel Castro, der im Buch aber nie erwähnt wird), dass sich politische Situation dank kaltem Krieg weltweit zuspitzt – all das passiert weit, weit weg von Wormolds Welt.
Er lebt eigentlich bloss auf Kuba, weil er hier seine Ruhe hat und seinen täglichen Daiquiri so zubereitet kriegt, wie er ihn mag. Seine einzigen Sorgen gelten dem Staubsaugergeschäft, das schleppend läuft, weil niemand auf der katholisch-konservativ geprägten Insel das neueste Modell namens „Atomic Pile Cleaner“ (deutsch: Atomreaktorreiniger oder Atomhaufenreiniger) kaufen will. Und dann beschäftigen ihn noch die Launen seiner hübschen, verzogenen Tochter, der er jeden Wunsch erfüllt, wodurch er sich in immer gefährlichere finanzielle Engpässe manövriert. Zum Beispiel schickt er sie auf eine angesehene Schule, weil sie das so will. Obwohl er sich die Schule nicht leisten kann und er insgeheim grundsätzliche Zweifel am Sinn und Zweck von Bildungseinrichtungen hegt:
„Schools were said to construct character by chipping off the edges. His edges had been chipped, but the result had not, he thought, been character – only shapelessness like an exhibit in the Musem of Modern Art.“ (Es wurde behauptet, dass Schulen den Charakter formen würden, indem sie die Ecken und Kanten abschliffen. Seine Ecken und Kanten waren abgeschliffen worden, aber das Resultat, dachte er, war nicht Charakter – nur Formlosigkeit, wie bei einem Ausstellungsstück im Museum für moderne Kunst.)
Wormold fällt jedenfalls aus allen Wolken, als eines schönen Tages ein mysteriöser und reichlich exzentrischer Brite sein Geschäft betritt und ihm eröffnet, dass der Geheimdienst ihrer Majestät beschlossen hat, einen Spionagering auf der Insel aufzubauen und dass er, Wormold, zum ersten Agenten und Leiter der ganzen Sache auserkoren wurde. Mangels Alternativen, wie der Fremde durchblicken lässt. Wormold will erst ablehnen, aber „nein“ zu sagen gehört nicht zu seinen ohnehin eher dünn gestreuten Stärken. Ausserdem stellt der Geheimagent ihm Prämien für angeworbene Informanten und für besonders wichtige Informationen in Aussicht – ein sehr willkommener Nebenverdienst für Wormold. So wird also James Wormold, Staubsaugervertreter, zum Chefspion der Briten auf Kuba.
Dies stellt ihn vor eine Reihe unvorhergesehener Probleme. Denn sein Kontaktmann reist ab, ohne ihm zu erklären, wie er überhaupt an mögliche Informanten, geschweige denn an geheimdienstlich relevante Informationen herankommt. Warum also nicht einfach ein paar Informationen erfinden?
Was folgt ist eine bitterböse Geheimdienstkomödie, in der echte Agenten, frei erfundene Informanten und ein ums Zehnfache vergrösserter Bauplan des „Atomhaufenreinigers“ die Welt an den Rand einer internationalen Krise führen. Und in der die Realität den Schwindler Wormold schneller einholt, als ihm lieb ist.
Graham Greene lieferte mit seinem 1958 erschienenen Roman eine ebenso witzige wie absurde Story über die Paranoia zur Zeit des Kalten Krieges. Ungeachtet all der grotesken Elemente und Übertreibungen in seiner Geschichte sah Greene, ganz nebenbei, im Wesentlichen die Kubakrise von 1962 voraus – ein Hinweis, dass Fiktion auch im wahren Leben unbequem rasch zur Realität werden kann.
Vor allem machte sich Greene mit „Our Man in Havanna“ aber aufs Bissigste über Geheimdienste im Allgemeinen und über den britischen MI6 im Speziellen lustig. Das ist umso schöner, wenn man weiss, dass Greene selbst für den MI6 tätig war und dass auch Wormold nicht ganz frei erfunden ist, denn Greene hatte eine reale Vorlage für seinen erfindungsreichen Möchte-eigentlich-nicht-so-gern-Spion: Im Zweiten Weltkrieg versorgte ein gewisser „Garbo“ die Nazis mit geheimen Informationen, die er aus einem grossen Spionagenetzwerk in England bezog – allerdings waren sowohl das Spionagenetzwerk als auch die geheimen Informationen frei erfunden.
Seine angeblich so brisanten Informationen hatte „Garbo“ mitunter aus einem öffentlich zugänglichen Reiseführer über England, dessen Inhalt er in Eigenregie etwas aufpeppte und dann an die Nazis weitergab – pimp my secret service, gewissermassen. Zeitenweise finanzierten die Nazis so 27 von „Garbos“ erfundenen Informanten. Dieser erhielt für seine angeblichen Dienste mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse eine so hoch angesehene militärische Auszeichnung von Nazideutschland, dass sie von Adolf Hitler persönlich genehmigt werden musste. Als Geheimdienstmitarbeiter wusste Greene schon früh von „Garbo“ und verwendete ihn, gemäss Wikipedia, als Vorlage für seinen Wormold.
Sprachlich nutzt Graham Greene das ganze Arsenal, das die englische Sprache für boshafte Feinheiten bereitstellt – schwarzer, ironietriefender britischer Humor in Bestform. So gut, das das Werk bereits 1960 von Carol Reed verfilmt wurde und in der Filmversion den „Golden Globe Award“ gewann.
Für Globeworms auf der Suche nach Reiseliteratur noch eine letzte Anmerkung: Greene beschreibt sehr lebendig und atmosphärisch dicht ein Havanna, das es in dieser Form nicht mehr gibt. Das Buch lädt damit auch ein auf eine Zeitreise in ein Kuba vor der sozialistischen Revolution. Und vor der aktuellen Marktöffnung, die dem Land über kurz oder lang vielleicht doch noch einen „Atomhaufenreiniger“ für jeden Haushalt bescheren wird.
Deutsch: Graham Greene, Unser Mann in Havanna, 1959, Paul Zsolnay-Verlag, aus dem Englischen von Lida Winiewicz // Neuauflage 1995 Zsolnay-Verlag, neue Übersetzung von Dietlind Kaiser. Ab CHF 17.00.
Englisch: Graham Greene, Our Man in Havana; Erstveröffentlichung 1958 William Heinemann; Neu: Vintage Books, 2001, ab ca. 17 CHF, auch in namhaften Schweizer Buchhandlungen erhältlich.
Nächsten Freitag geht es mit Jana Kilchenmann zu Fuss durch Nordamerika.