Text und Bilder von Jana Kilchenmann
Zwanzig Jahre lang hat Herbert Stuemer, der Sohn eines deutschen Binnenschiffers, seiner kanadischen Frau Diane von einer Weltumseglung vorgeschwärmt. Sie antwortet jeweils: „Es ist ein grossartiger Traum, Liebling, und jeder sollte seine Träume haben“ , und hofft insgeheim, er würde doch noch zur Vernunft kommen. Reisen? Ja sicher, aber doch nicht in einem Segelboot um den ganzen Erdball. Bis Herbert von der Leiter stürzt und bei Diane eine aggressive Form von Hautkrebs festgestellt wird. Das lässt sie beide ihre Lebensvorstellungen überdenken. „Wir waren eine von diesen Tag und Nacht beschäftigten, materialistisch orientierten und konventionellen Yuppie-Familien geworden“, so das Fazit.
Sie sind beide Ende Dreissig und haben drei Söhne: Christopher, Jonathan und Michael. Die Jungs sind fünf, neun und elf Jahre alt, als sich die Eltern entschliessen, ihr bürgerliches Leben gegen das auf einer 13 Meter langen Stahl-Yacht namens Northern Magic aufzugeben. Die Stuemers vermieten ihr Haus, verkaufen das Geschäft, absolvieren ihre Tauch- und Funkprüfungen und machen die Northern Magic startklar. Elf Monate nach ihrem Entschluss und mit nur sechs Nachmittagen Segelerfahrung legen sie 1997 in Ottawa, Kanada, ab. „Hinter uns lag eine verrückte, manchmal qualvolle Zeit. Vor uns lag die ganze Welt.“
In Das Glück war jeden Tag an Bord- Eine Familie segelt um die Welt erzählt Diane Kueger in der Ich- und Wir-Perspektive die Geschichte, wie ihre Familie in 1445 Tagen auf der Northern Magic 34 Länder besucht und dabei 35’000 Seemeilen (64’820 Kilometer) zurücklegt. Auf den fast 400 Seiten finden aber lediglich Ausschnitte ihrer Seefahrt Platz. Gekonnt hält sie Highlights und Tiefpunkte fest, die Anfänge aller Freundschaften sowie deren kleiner werdenden, winkenden Silhouetten beim Weitersegeln. Die Stuemers wollen ihren Kindern auf dieser Reise das Leben und die Wunder dieser Erde näher bringen. Und ihr Ziel ist es, eine ganze Kette von Freundschaften rund um den Globus zu spannen. Das erste Glied dieser Kette bilden Merita und deren Familie. Die Segler verbringen auf Kuba ein paar Tage mit ihnen und möchten zum Abschied zwei Fahrräder schenken. Dabei machen die Stuemers eine erste Bekanntschaft mit der kubanischen Bürokratie: Es ist nur möglich die Räder dem Staat zu schenken, nicht aber einer einzelnen Familie.
Den Luxus zurückgelassen
Diane Stuemer ist Journalistin und schreibt wöchentlich ein paar Zeilen über ihren Törn für den Ottawa Citizen, die grösste Tageszeitung in ihrer Heimat. In den amerikanischen Medien wird ihre Reise mit grossem Interesse verfolgt. Manchmal erlangt die Familie auch an anderen Orten Berühmtheit und muss unterwegs Interviews geben.
Doch wer jetzt denkt, dass die Stuemers vier Jahre lang die Beine hochlegt und die Seele baumeln gelassen haben, irrt gewaltig. Sie haben in Kanada eben auch ein Leben mit einer Waschmaschine, heissen Duschen und Nächten mit acht Stunden Schlaf in einem richtigen Bett zurückgelassen. Zudem ist der Alltag auf See geprägt von Knochenarbeit, er erfordert Ausdauer und Beharrlichkeit. Im Buch begegnet Diane ihrer damaligen Unerfahrenheit und ihren Anfängerfehlern mit viel Humor. Immer wieder haben die Stuemers mit technischen Pannen zu kämpfen. Hafenaufenthalte beginnen für Kapitän Herbert jeweils mit zähen Reparaturen und dem Ersetzen defekter Teile. Aber er ist ein Genie in Sachen Reparaturarbeiten und bald eilt ihm sein Ruf als „Werkzeug-Herbert“ im pazifischen Raum voraus. Als Erster Maat kümmert sich Diane um Lebensmittel, Trinkwasser und den Unterricht der Kinder. Am Ruder wechselt sich das Ehepaar in Wachrhythmen ab.
Ein Ende der Katastrophen ist aber nicht in Sicht: Die Stuemers überleben einen Blitzschlag in ihre Yacht, zwei Tornados zwischen den Fidschi-Inseln und Australien und das Sprengstoffattentat auf den amerikanischen Zerstörer USS COLE vor Aden (Jemen). Auf den Nikobaren (Indien) werden ihnen unter vorgehaltener Waffe die Pässe abgenommen und in dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Sri Lanka muss sich Diane unter exotischen Bedingungen zwei Knoten aus der Brust operieren lassen.
Spuren im Kielwasser
Und trotz all dieser schrecklichen Erlebnisse überwiegen bei der Erzählerin die Sonnenseiten des Segelns und Reisens. Die Familie ist zu beneiden, als sie in einer Bucht eine Seelöwin in ihrem Dingi (ein kleines Beiboot) beherbergt, fünf Monate in Australien verbringt oder in Borneo per Boot durch den Dschungel reist und Menschenaffen beobachtet. Mit jedem Kapitel werden die Globetrotter freier und offener, aber auch sicherer und gelassener. Und tatsächlich, die Kinder blühen auf; schliessen selbstständig Freundschaften, lassen sich auf all die Abenteuer ein und übernehmen immer mehr Aufgaben auf dem Schiff. Durch Stuemers Erzählungen erhält der Leser auch einen tiefen Einblick ins Familienleben an Bord ohne, dass es zu privat wird. Gekonnt bringt die Autorin im selben Kapitel Anspielungen auf Shakespeare und Star Trek unter.
Die Kette der Freundschaften wird immer länger, doch auch die Segler hinterlassen ihre Spuren. Denn sie gründen sie diverse Projekte und sammeln zum Beispiel Geld für die gefährdeten Affen Borneos oder kaufen in Kenia eine Milchkuh, um einer Familie eine wirtschaftliche Grundlage zu geben.
Dieses Buch ist deshalb so wertvoll, weil es ganz normale Menschen zeigt, die nicht nur an ihren Traum geglaubt, sondern ihn auch umgesetzt haben. Mit allen Konsequenzen. Dass sie ihr bisheriges Leben aufgegeben und vier Jahre lang das Gesicht in den Wind und nicht zurück gehalten haben, macht sie alle fünf in meinen Augen zu wahren Seglern.
The Voyage of the Northern Magic: A Family Odyssey ist 2002 beim McClelland & Stewart Verlag erschienen. 2007 erschien es unter dem Titel Das Glück war jeden Tag an Bord – Eine Familie segelt um die Welt beim Delius Klasing Verlag. Es kostet ca. 22 Franken und umfasst 389 Seiten.
Nächste Woche geht’s mit Dominique Götz nochmals nach Basel zum zweiten Teil der Triologie: Liebeserklärungen an die schrägsten Basler Autoren.