Biografien

Wall and Piece

Diese Woche haben wir auf Freitagsbloggers einen Buchtipp über die Graffiti-Kunst von Banksy aufgeschaltet. Banksy, ein weltweit gefeierter, aber auch umstrittener Street Artist, geniesst in letzter Zeit wieder einmal viel mediale Aufmerksamkeit. Einerseits wegen seines Dismaland, einem bitter-bösem Freizeitpark in Anlehnung an Disneyland, den er zusammen mit anderen Künstlern in einem Provinznest in Südengland ein paar Wochen lang zum Leben erweckt hat. Andererseits aber auch durch die kontroverse Diskussion seiner Graffiti-Werke in Gaza, welche von gierigen Palästinensern und Galeristen aus Hausmauern ausgeschnitten und nach New York verfrachtet werden, um dort im Tausch gegen Millionen von Dollars in einem Penthouse eines Hipsters zu landen. Was kann Kunst? Was darf Kunst? Und was ist überhaupt noch Kunst? Diese Fragen wird der Fotoband nicht beantworten, sondern sicherlich wieder von Neuem aufwerfen.

 

Not another brick in the wall

Banksy hat mit grösstenteils illegalen Strassenmalereien internationale Beachtung und Medienpräsenz erlangt. Sein 2007 Buch „Wall and Piece“ regt noch immer zum Nachdenken an über die Möglichkeiten und Grenzen von Kunst und Provokation in der Öffentlichkeit. Es ist gewissermassen eine fotografische Beweisführung des Briten gegen sich selbst. Auf 238 Seiten breitet er in dem Buch die Beweise für ein paar hundert Fälle von Sachbeschädigung vor dem Betrachter aus: illegale Schablonengraffiti, wilde Installationen, Performances, die an Sabotage grenzen. Ein Mix aus Kommunikationsguerilla und jugendlicher Freude am Vandalismus. Eine Frechheit? Witzig? Genial?

Jedenfalls trifft Banksy den Nerv der Zeit: Es gibt einen Film über ihn; das Sujet des vermummten, blumenstrausswerfenden Demonstranten auf dem Cover von „Wall and Piece“ wird auf T-Shirts gedruckt und das Buch selbst ist ein Verkaufsschlager. Das liegt vielleicht daran, dass Banksy kein gewöhnlicher Sprayer ist. Er hält sich nicht mit Buchstaben auf. Seine Wandbilder erzählen Geschichten. Eine graue, rissige Wand irgendwo in London? Nach Banksys Besuch sind darauf zwei knutschende britische Polizisten zu sehen. Eine andere Wand, auch in London? Nach 18 Minuten Banksy scheint sie ein Vorhang zu sein, hinter den eine Magd den Staub auf der Strasse kehrt. Eine Überwachungskamera, die eine Wand anglotzt? Nach Banksy fragt die Wand „what are you looking at?“. Oft verwendet der Künstler bekannte Sujets wie die Mona Lisa und verändert sie in seinem Sinne. Oder er gestaltet bereits vorhandene Werbeplakate und Strassenschilder so um, dass sich ihre Bedeutung verändert. Man nennt das „Adbusting“.

Humorvoll, boshaft und schnodderig knöpft sich Banksy seine Opfer vor. Und damit sind am allerwenigsten die Wände und Schilder Londons und anderer Städte gemeint, denn nicht nur sie sind vor ihm nicht sicher. Niemand ist es. Die Queen nicht, die Behörden nicht, die Weltpolitik nicht. Banksy setzt seine Statements, wo es ihm passt. In Betlehem malt Banksy auf die sechs Meter hohe Trennmauer zwischen palästinensischen und israelischen Wohngebieten Löcher auf die palästinensische Seite, hinter denen Alpenpanoramas und Sandstrände zu sehen sind. Eine Erklärung dieser Motive liefert er nicht mit. Der Betrachter muss sie schon selbst interpretieren – wie immer bei Banksy.

Text liefert Banksy in seinen Bildern ohnehin fast nie und auch in „Wall and Piece“ kaum. Es gibt einige zeitliche Angaben zur Entstehung seiner  Öffentlichkeitsergänzungen, hie und da ein paar Hintergrundinformationen. Generell lebt das Buch aber von den mehreren hundert Fotografien seiner Werke. Diese beeindrucken schon durch ihre schiere Anzahl. Es ist bemerkenswert, wie oft Banksy mit seinen Aktionen offensichtlich schon davongekommen ist und welche Energie er in sie steckt. Immerhin wird er dafür nicht bezahlt und erntet auch Anerkennung bestenfalls über Umwege – schliesslich kann er sich schlecht als Urheber seiner Werke outen. Zwar kursieren im Internet Gerüchte zu seiner Identität. Banksy heisse mit richtigem Namen angeblich Robin Banks. Das dürfte allerdings gezielte Desinformation Marke Banksy sein, denn Robin Banks ist zwar ein Name, bedeutet auf Englisch aber auch „raubt Banken aus“.

Vielleicht sind die drohenden Konsequenzen der Grund, warum Banksys Street Art weitgehend noch immer Strassenkunst ist und den Sprung in die Museen (offiziell) lange nicht geschafft hat. Möglicherweise sind ihm Museen als Kunstbiotope einfach zu spiessig. Vielleicht ist ihm auch die schmucklose Betonwüste ausserhalb der Museen zu leer. Jedenfalls bringt er die Kunst auf die Strasse. Und manchmal umgekehrt, wie einige der besten Fotostrecken im Buch beweisen. Dann bringt er die Strasse ins Museum. Verkleidet sich, besucht Kunstausstellungen und hängt in unbeobachteten Momenten seine eigenen Werke zwischen die Ausstellungsstücke. Meist sind es modifizierte Kopien bereits ausgestellter Originale: Überwachungskameras in romantischen Landschaften, Portraits von Adelsdamen mit Gasmasken; im Louvre sogar eine Mona Lisa mit Smiley-Gesicht. Oft fallen Banksys Beiträge den Austellern erst nach Tagen auf.

All das ist natürlich kontrovers. Mit seinen Werken übernimmt Banksy ungefragt den öffentlichen Raum. Das gestehen wir freiwillig nur den Überwachungsbehörden fremder Staaten zu. Er belästigt uns mit Meinungen, die nicht unbedingt die unseren sind. Obwohl das normalerweise der Job von sozialen Medien und Werbeagenturen ist. Und ja, er beschädigt fremdes Eigentum. Das ist nicht schönzureden. Vor allem nicht, wenn man selbst Immobilienbesitzer ist und  ein eher traditionelles Kunstverständnis hat.

Natürlich kann man sich auch sonst fragen, ob Banksy überhaupt Kunst macht. Oder Kunst machen will. Kitsch jedenfalls, den kann man Banksy nicht vorwerfen. Genauso wenig fehlende Originalität oder mangelnden Pioniergeist. Handwerklich hingegen sind seine Bilder von sehr unterschiedlicher Qualität. Einige sind ziemlich dürftig – vielleicht auch aus Zeitgründen. Sein Ziel, nämlich zum Stutzen, Nachdenken, Schmunzeln anzuregen, erreicht er trotzdem.

Wer intelligente und witzige optische Kommentare zum Alltag zu schätzen weiss, sollte sich das Buch anschauen oder, noch besser, kaufen. Wer sich an der respektlosen Herangehensweise Banksys stört, der sollte einen grossen Bogen um „Wall and Piece“ machen und das Geld lieber in einen grossen Eimer Anti-Graffiti-Farbe und einen Satz Scheuklappen investieren.

Banksy, Wall & Piece, Publikat Verlag, 1.06.2007, ISBN-13: 978-3-939566-09-0, zu kaufen ab 34.90 Franken, nur auf Englisch erhältlich

 

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