Im Jahr 1551 schenkten der spanische König Johann der Dritte und seine Gemahlin dem österreichischen Erzherzog und späteren Kaiser Maximilian einen indischen Elefanten zur Hochzeit.
Die abenteuerliche Reise des Elefanten Soliman von Lissabon nach Wien hat der inzwischen verstorbene Nobelpreisträger José Saramago 2008 Grundlage für eines seiner letzten Bücher genommen. Wer von diesem Buch einen historischen Wälzer erwartet, wird enttäuscht werden.
Der portugiesische Autor nutzt diese Begebenheit viel mehr dafür, die Vorbereitungen und die Umsetzung eines derartigen Unterfangens im 16. Jahrhundert aus unserer Zeit heraus zu betrachten. Liebevoll ironisch belächelt und kommentiert er zum Beispiel mögliche Dialoge zwischen dem Kommandanten des portugiesischen Trupps und dem indischen Mahut, dem Elefantenführer, die aus heutiger Sicht natürlich übertrieben umständlich wirken. An Saramagos Erzählweise ist ebenfalls besonders, dass er einen Wir-Erzähler mit auktorialer Perspektive einsetzt. Der Leser wird also zum Verbündeten, zu einem der mitschmunzeln darf. Später im Buch schreibt er über seinen ironischen Ton folgendes: „Wir wissen ja bereits, wie das mit dem Schreiben ist, nicht selten zieht das eine Wort das nächste nach sich, nur, weil sie zusammen gut klingen, weshalb oftmals der Respekt der Leichtfertigkeit und die Moral der Ästhetik zum Opfer fällt.“ Der Autor lässt uns immer wieder hinter die Fassade seiner eigenen Fiktion blicken: er spekuliert, vergleicht, nimmt zurück, stellt Gesagtes gleich wieder in Frage.
Die als Roman etikettierte Parabel beginnt im königlichen Schlafzimmer in Lissabon, wo Johann der Dritte mit seiner Gemahlin nach einem Geschenk sinniert, das den österreichischen Erzherzog zufriedenstellen könnte. Dieser weilt zurzeit nämlich praktischerweise in der spanischen Stadt Valladolid.
Den Zweifeln Johanns zum Trotz akzeptiert Erzherzog Maximilian den Elefanten als Geschenk und nun steht der König vor der Herausforderung, diesen Viertonnen-Koloss bis nach Valladolid oder gar Wien zu transportieren. Wobei er natürlich nie zu befürchten hat, seine königlichen Füsse auf eine staubige Strasse zu setzen. Und Salomon, wie der Elefant bei José Saramago zu Beginn noch heisst, wird auch nicht gebracht, er muss selber gehen. Dabei ist nicht nur die Strecke ein Hindernis, denn so ein Elefant hat auch seiner Grösse entsprechende Bedürfnisse: Ochsenkarren müssen ganze Futterballen und Wasserbottiche ziehen. Ein kleines Heer an Soldaten muss die Kolonne bewachen, denn auf den europäischen Strassen ist es während der Renaissance nicht ungefährlich. Und ein Elefant erregt Aufsehen, zumal die meisten Europäer dieser Zeit noch nie einen gesehen haben, nicht einmal einen gemalten. Der ganze Tagesablauf unterwegs richtet sich nach den Bedürfnissen von Salomon. So muss der sich über den Mittag vier Stunden vom anstrengenden Marsch erholen und auch regelmässig gebadet werden. Die Reise führt Salomon und seinen Mahut von Lissabon in die Grenzstadt Castelo Rodrigo und dann nach Valladolid. Von dort weiter nach Barcelona und mit dem Schiff nach Genua. Später gelangen sie,wie einst andere Elefanten unter Hannibal, über die Alpen nach Wien.
Dieses schmale Buch hat aber auch eine philosophische Seite. Sie kommt durch den Mahut Subhro zum Ausdruck. Der indische Underdog ist der heimliche Held des Buches. Für ihn ist die Vorstellung von Ordnung und Hierarchie seiner Mitreisenden fremd, doch er besitzt die Kühnheit Fragen zu stellen. Und so fungiert er einerseits als Spiegel aber auch als Bindeglied zwischen den Menschen und dem Elefanten, weil er allein den Dickhäuter versteht, indem er sagt, dies sei unmöglich.
Das ganze Buch ist durchzogen von feinem Spott über den christlichen Glauben. Saramago formuliert zum Beispiel die lang ersehnte Ankunft im Grenzkaff Castelo Rodrigo so: „Fast sind wir versucht wie dieser andere zu sagen, heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“.
In gewissen Passagen geht Saramago auch darüber hinaus, lediglich aus heutiger Sicht zu schreiben. Als Salomon bereits in Soliman umbenannt wurde und Subhro schon Fritz heisst, befinden sie sich mit den österreichischen Begleitern in den Alpen. Da wünscht sich Saramago, es gäbe doch Bilder davon, am besten aus einem Helikopter geschossen.
José Saramago, der erst mit 60 Jahren Vollzeit zu schreiben begann, war 1998 der erste Portugiese, der mit einem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Ein portugiesischer Regisseur hat den Schriftsteller bis kurz vor seinem Tod mit der Kamera begleitet und in einem Dokumentarfilm die innige Beziehung zu seiner Frau Pilar del Rio festgehalten. Er ist unter dem Titel José e Pilar 2010 erschienen; im selben Jahr verstarb Saramago nach langer Krankheit.
Als der Elefant Soliman zwei Jahre nach seiner Ankunft in Wien stirbt und aus seinen Knochen ein Stuhl hergestellt wird, könnten wir dieses Buch erheitert weglegen. Würden wir uns nur nicht an die Widmung am Anfang erinnern: „Für Pilar, die nicht zugelassen hat, dass ich sterbe.“
Die Reise des Elefanten ist all jenen zu empfehlen, die nacherzählte Ereignisse aus der Vergangenheit nicht wegen ihrem Wahrheitsgehalt schätzen sondern weil sie ein José Saramago mit dieser Leichtigkeit erzählt.
Original: A viagem do elefante erschien 2008 im Verlag Editorial Caminho, Lissabon
Die deutschsprachige Ausgabe hat 2010 der Hoffmann und Campe Verlag in Hamburg herausgegeben. Es umfasst 235 Seiten und kostet ca. 15 Franken.