Musikalische Reisegeschichten

Faszination Alphorn – Eine Klangreise in die Welt der Naturtöne

Diese Woche gibt es hier auf Freitagsbloggers pünktlich zum Schweizer Nationalfeiertag einen kleinen Ausflug in die faszinierende Welt der zeitgenössischen Alphornmusik. Auch wer nichts mit Schweizer Folklore am Hut hat, aber für seine 1. August-Party die passende Musik sucht, findet hier eine kleine, aber feine Auswahl an Links zu Schweizer Alphornmusik, welche überrascht und auch Alphornmuffel begeistern kann.

Vom Hirtenhorn zum Kultobjekt und experimentellen Spielzeug

Schon seit Urzeiten haben Menschen auf der ganzen Welt in ausgehöhlte Äste oder Wurzelteile geblasen. Das hohle Rohr als Instrument ist etwas Archaisches und widerspiegelt das Verlangen des Menschen sich Gehör zu verschaffen. Das australische Didgeridoo, afrikanische Holzhörner oder indianische Holztrompeten werden als Vorläufer des Alphornes bezeichnet. Das kurze Horn, das vier bis sechs Töne hervorbrachte, wurde später zum Arbeitsinstrument der Hirten mit denen sie das Vieh antrieben. Das Alphorn als Volksmusik-Instrument in seiner heute bekannten, über drei Meter langen Form, ist erst etwa 150 Jahre alt.

Jazz & Improvisation

Bis vor ein paar Jahrzehnten wurden die Alphornbläser in den Städten belächelt. Heute sind es vor allem die Städter, die fasziniert sind von diesem Instrument. Der Jazzmusiker und Trompeter Hans Kennel war in den Achtzigerjahren einer der Ersten, die das Alphorn als kreatives Instrument für zeitgenössische Musik entdeckt haben. Zuerst hat er die Alphornmusik verjazzt, was bei vielen Jazzmusikern Stirnrunzeln erzeugte. Später mit der Band Alpine Experience stand die Improvisation der alpinen Klänge im Vordergrund. Diese Musik versetzt den Hörer in eine Bergwelt, weit weg vom Alltag. Kennels Band, das Alphornquartett Mytha, macht polyphonische Musik, aber auch Fusion-Musik. Auf der CD Mytha new edition findet man sowohl internationale Rhythmen, wie beispielsweise Kamerun Baby, eine abenteuerliche Expedition nach Afrika, als auch Schweizerisches wie der Edelschweiss Schrottisch – eine humorvollen Interpretation eines Ländlerstückes. Der erfahrene Jazzmusiker ist eine Inspiration für viele junge Alphornmusiker.

World Music & Klassisch

Auch für die 30-jährige Alphornmusikern und Entertainerin Eliana Burki  ist  Hans Kennel Vorbild, Mentor und Freund. Ihm habe sie viel zu verdanken, hat sie mir einmal bei einem Interview vor Jahren verraten, als ich sie live an einem privaten Event erlebte. Mit ihren jazzig-funkigen Rhythmen brachte sie viel Stimmung in den Saal. Ich erlebte Eliana Burki ausserdem live an einem Fusion-Konzert in Dubai, wo sie mit indischen und arabischen Musikern Jam Sessions spielte. Burki lernte mit sechs Jahren Alphorn spielen und stand mit neun Jahren das erste Mal auf der Bühne. Obwohl sie als Teenager von ihren Mitschülern ausgelacht wurde, blieb sie ihrem Instrument treu und war bereits mit 16 Jahren in ganz Europa auf Tour. Eliana Burki gibt dieses Jahr 150 Konzerte in ganz Europa, darunter sind auch klassische Konzerte mit Kammerorchestern und Philharmonikern und viele Konzerte an World Music Festivals. Im April war die Alphornbläserin unter anderem im Moods in Zürich zu Gast, um ihre neuste CD „Arcadia“ zu taufen.

Eliana Burki live im Moods in Zürich am Arcadia Konzert, 23. April 2016

Experimentelles

Der wohl unkonventionellste Hornist, welcher die musikalischen Möglichkeiten des Alphorns am Extremstem ausgelotet hat, ist Balthasar Streiff. Er experimentiert schon seit 25 Jahren mit Hörnern aller Art. Ich hatte einmal Gelegenheit, Streiff in Basel zu besuchen und dabei führte er mich in das eigenwillige Universum seiner Musikwerkstatt, wo er eine beeindruckende Sammlung an Blasinstrumenten aus aller Welt lagert: Muscheln, Antilopen- und Büffelhörner, Zinken (historisches Blasinstrument, Cornett), Doppelbüchel, Büchel (kurzes gebogenes Alphorn), Alpofone und schwedische Neverluren (Naturtrompeten ohne Ventile und Klappen) stehen und liegen neben den klassischen Alphörnern. “Das Horn funktioniert gleich wie die Stimme, es ist Resonanzkörper für die Atmung“, erklärte mir der passionierte Bläser. Er bringt es fertig auf allen Rohren Musik zu machen, sogar mit Plastikschläuchen und einer südafrikanischen Alge.

Balthasar Streiff machte sich unter anderem mit dem Duo Stimmhorn und dem Alphorn Quartett Hornroh einen Namen. Diese intellektuellen Musikformationen sprengen mit ihren konzeptuellen Kompositionen sämtliche Grenzen. Sie haben ihre Wurzeln im Theater, in der Kunst und der klassischen Musik, insbesondere der Barockmusik, die den Naturtoninstrumenten sehr nahe steht. Gemäss Streiff ist die grösste Herausforderung für einen Bläser, mit verschieden gestimmten Hörnern zusammenzuspielen und sie klanglich aufeinander abzustimmen. Sehr anspruchsvoll ist das Zusammenspiel eines Alphorns mit einer Sakuhachi, einer japanischen Bambusflöte, im Musikprojekt Sanshi/Purpurberg. Der Flötist Ueli Derendinger kreierte zusammen mit Balthasar Streiff meditative Musik: eine mystische Klangreise nach Japan, deren Reinheit und Schlichtheit sehr berührt und entspannt.

Balthasar Streiff bläst in eine südafrikanische Alge in seinem Musikkeller in Basel, Januar 2016

Tüftler & Instrumentenbauer

Streiff konnte seine klanglichen Experimente nur verwirklichen durch die Zusammenarbeit mit dem Alphornbauer Otto Emmenegger aus Eich. Der Schreiner und Alphornbauer zweiter Generation, Grafiker und Zeichnungslehrer hat mit Balthasar Streiff zusammen verschiedenste Klangrohre entwickelt, wie zum Beispiel das Alpofon. Otto Emmenegger erzählte mir bei einem Besuch in seiner Werkstatt: „Es ist spannend mit Streiff zusammenzuarbeiten, denn er kann aus Pannen und Mängeln während dem Bauprozess Schlüsse ziehen und dann entsteht immer wieder Neues.“ Für Eliana hat Emmenegger das erste Alphorn aus Nussbaumholz gefertigt, das nicht mit Pedigrohr umwickelt ist und viel Widerstand leistet in den höheren Lagen. Dieses Alphorn hat einen härteren Spieldruck und einen härteren Klang als die Fichtenhörner, dafür aber einen tollen Showeffekt auf der Bühne. Laut Emmenengger macht das Können des Bläsers etwa 70% der Alphornmusik aus. Die sorgfältige Verarbeitung des Holzes und die Geometrie des Instrumentes seien jedoch das A+O für die klangliche Qualität.

Otto Emmenegger in seiner Werkstatt in 2010
Otto Emmenegger in seiner Werkstatt in 2010

Die Blastechnik, Lippenspannung und Lippenvibration ist für das Alphorn die gleiche, wie für alle anderen Hörner und Trompeten. Und bei allen Blasinstrumenten ist die Qualität der Mundstücke von grosser Bedeutung. Darauf ist Emmenegger spezialisiert. Schon als Junge hat er in der Werkstatt seines Vaters, einem sehr bekannten Alphornbauer, Mundstücke gefertigt. Je nach Zahnstellung, Mundgrösse und Spieltechnik brauchen die Bläser speziell gefertigte Mundstücke. Besonders geeignet dafür ist das Holz des Mehlbeerbaumes, der in der Schweiz nur über 1000m wächst und schwierig zu finden ist. Emmenegger verwendet für seine Mundstücke auch Oliven- Aprikosen-, kanadisches Ahorn- oder Zwetschgenholz. “Ein sorgfältig gefertigtes und genau angepasstes Mundstück hat einen sehr grossen Einfluss auf den Klang der Musik“, betont Emmenegger. Zusammen mit Streiff hat er sogar ein Doppelmundstück entwickelt mit dem auf zwei verschieden gestimmten Alphörnern gespielt werden kann. Auch Burki hat für ihr Karbonhorn ein Holzmundstück von ihm, damit das Horn weniger glasig tönt.

Mundstücke in der Werkstatt von Otto Emmenberger 2010
Mundstücke in der Werkstatt von Otto Emmenberger 2010

Naturtonkompositionen

Bei der Alphornmusik geht es immer um die Naturtonreihe. Ein durchschnittlicher Alphornbläser bläst selten höher als bis zum 13. Naturton. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Komponisten von Alphornmusik durch diese Limitierung sehr kreativ sein müssen. Bereits Leopold Mozart komponierte im 18. Jahrhundert die Sinfonia Pastorella für Alphorn in G-Dur und Streichorchester. Auch andere Komponisten haben das Alphorn wieder aufleben lassen. Der bekannteste unter ihnen ist der Schweizer Hans-Jürg Sommer, der 340 Melodien komponiert hat. Das macht ihn zum heute meistgespielten Alphornkomponisten. Als Sommer das Alphornspielen erlernen wollte, fand er kaum Noten für Alphornmusik. Da entschloss er sich, selbst Melodien für das Alphorn zu komponieren und aufzuschreiben. Moosruef ist eines der populärsten Stücke von Sommer, obwohl es am Anfang auf viel Ablehnung stiess. Sommer war über längere Zeit auch Eliana Burki‘s Alphornlehrer. Wer gerne Alphornspielen lernen würde oder Noten braucht, findet auf Sommers Webseite www.alphornmusik.ch eine grosse Auswahl an Büchern und CDs.

Ausklang

Obwohl die Alphorn-Musik in der Schweiz populär und vielfältig ist wie nie zuvor, findet man in Musikgeschäften nur gerade eine Handvoll CDs. Der Grund für diese kümmerliche Auswahl ist klar, denn egal ob Folklore, Jazz, Funk, Pop, Experimentell oder Klassisch, diese archaische Musik geht vor allem live voll unter die Haut. Denn Alphornmusik soll berühren und die Performance der Bläser soll beeindrucken und unterhalten. Viele Alphornmusiker haben kreative Wege gefunden das Alphorn ins moderne Zeitalter zu führen. Und trotz diesen musikalischen Exkursionen bleibt der Klang des Alphorns unverändert rein, warm und urchig: Eine bitter-süsse Mischung zwischen Fernweh und Heimweh, zwischen Seelenschmerz und Glückseligkeit – ein wenig wie sehnsüchtige Tierlaute, deren langsam verlöschende Schwingungen einen erschauern lassen.

 

PLAY LIST

Eine wahre Renaissance erlebte das Alphorn Ende der 1990er-Jahre bis in die Nullerjahre. In diesen Jahren wurde das Alphorn in der  Pop-, Rock- und sogar der  Rapmusik eingesetzt. Aus dieser Zeit stammen auch die spannendsten CDs:

Blues & Jazz & Funkiges:
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Mytha new edition Hans Kennel und Betty Legler, The Montreux Jazz Label TCB, 2008, erhältlich bei Musik Hug
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Rosa Loui The Alpine Experience mit Hans Kennel, The Montreux Jazz Label TCB, 1997, bestellen bei info@tcb.ch

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Heartbeat mit Eliana Burki auf der CD Covermit ihrem Nussbaum-Alphorn 2008: Meine absolute Lieblings-Alphorn- CD!

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„Travelling Root“, Eliana Burki, Suonix 2010, bestellen auf www.eliana-burki.com
World-Music mit Gesang:
Arcadia
„Arcadia“, Eliana Burki & The Solis String Quartet aus Napoli, 2016, Edel Germany GmBH

 

 Experimentelles:
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Findling Hornroh Modern Alphornquartet, bergtöne phonac records 2009, bestellen auf www.hornroh.ch

 

Klassisches:
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Sanshi/Purpurberg: Shakuhachi & Alphorn, Ueli Derendinger & Balthasar Streiff, 2001, bergtöne phonac records, kann bestellt werden bei www.streiffalphorn.ch
Gemischtes:
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Alphorn am Puls der Zeit mit diversen Interpreten, wie dem Alphohrnlehrer Matthias Kopfmehl und dem Raper Mattmüller, CH-Records, 2007

 

 

 

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