Sommerliches

Liegestuhl-Krimis aus dem Bernbiet

Text und Bilder von Jana Kilchenmann

Im Sommer gehört für mich Krimi-Lesen einfach dazu. Denn im Liegestuhl lassen sich Kriminalfälle aus meiner Sicht am besten (mit-)lösen. So habe ich diesen Frühsommer meinen ersten Sonnenbrand den Kriminalromanen von Paul Wittwer zu verdanken.

Dessen drei Krimis spielen hauptsächlich in Bern und im Emmental und handeln im Ärztemilieu. Beides kommt nicht von ungefähr: Der Autor Paul Wittwer ist im Emmental aufgewachsen und praktiziert als Allgemeinmediziner in Oberburg bei Burgdorf. Wittwers Krimis sind alle relativ ähnlich aufgebaut und behandeln Probleme der modernen Spitzenmedizin, doch sie sind keine Fortsetzungsromane. Der Arzt Wittwer verschont uns dabei von unverständlichen Fachsimpeleien. Die Krimis sind unterhaltsam und erfrischend, denn der Autor lässt seine Protagonisten, alles junge Ärzte, bei der Aufklärung von Verbrechen auf Ab- und Umwege geraten. Für Spannung sorgen gelungene Perspektivenwechsel, die sich alle um die Aufklärung der Verbrechen spinnen. Als Leser sind wir den Ärzten nämlich immer einen Schritt voraus und werden zum Beispiel Zeugen von Telefongesprächen zwischen den Verbrechern und ihren Komplizen.

 

Eiger, Mord & Jungfrau
Paul Wittwers Erstlingswerk Eiger, Mord & Jungfrau beginnt an der sommerlichen Côte d’Azur. Die angeschwemmte Leiche eines frisch operierten Inders trübt die Stimmung von Max Knecht, der den Toten aus der lokalen Zeitung gleich als einen Patienten von der Vergine wiedererkennt. Die Vergine ist ein Spitalschiff, auf dem Patienten aus Drittweltländern unentgeltlich behandelt werden.
In Bern besucht der junge Herzspezialist Franco Weber die Beerdigung seines früheren Studienkollegen Max Knecht. Auf Wunsch von dessen Mutter. Denn Frau Knecht, eine zerbrechlich wirkende Frau mit Durchblick, glaubt nicht daran, dass ihr Sohn bei einem Segelunglück gestorben ist. Sie beauftragt Weber damit, der Sache auf den Grund zu gehen. Doch der ist so sehr mit seinem Beruf im Inselspital ausgelastet, dass er ihre Zweifel ihrer Trauer zuschiebt. Bis ihn selbst gewisse Ungereimtheiten stutzig machen.
Besonders gelungen und authentisch sind in diesem Band die Erzählungen rund um das Inselspital und die Gassen und Lauben der Berner Altstadt. Es hat etwas Heimeliges, genau vor Augen zu haben, wie Franco Weber mit Frau Knecht von der Junkerngasse in die Gerechtigkeitsgasse abbiegt und er dort dem endlosen Strom der Menschen zuschaut, der sich durch die Lauben zwängt.
Nicht alle sind aber so interessiert daran, das Geheimnis hinter Max Knechts Tod zu lüften wie Frau Knecht und Doktor Weber. Denn die beiden kommen der Verbindung zwischen der Vergine im Mittelmeer und der Privatklinik Eiger in Bern gefährlich nahe und müssen bald um ihr eigenes Leben bangen.

„Eiger, Mord & Jungfrau“ erschien 2004 im Nydegg-Verlag in Bern. Eine Taschenbuchausgabe kam 2008 heraus und umfasst 396 Seiten. 

Giftnapf
Der zweite Kriminalroman aus der Feder Wittwers ist mein Liebster. Er spielt im Trub, im hintersten Emmental, rund um den Napf. Vielleicht liegt es daran, dass mir diese Umgebung noch vertrauter ist als Bern, da ich selbst am Rand des Emmentals aufgewachsen bin. Da gehören Napf-Besteigungen einfach ins Repertoire der Ki ndheitserinnerungen. Doch zurück zum Krimi. In Giftnapf ist die Hauptperson wieder ein Arzt. Doch im Gegensatz zu Weber arbeitet Ben Sutter viel weniger verbissen. Der Stadtberner ist ein Lebemensch, der keine langfristigen Verpflichtungen eingehen mag. Im Trub ist der Dorfarzt plötzlich an Herzversagen verstorben und die Wittwe sucht eine Vertretung. Sutter kommt eine solch unverbindliche Stelle gelegen, wo er doch eine Luftveränderung sucht. Doch im krassen Gegensatz zur beschaulichen Napflandschaft wird er in der Landarztpraxis mit ungeklärten Todesfällen und Drogenmissbrauch konfrontiert. Er entdeckt eine illegale Hanfplantage und wird auf ein noch nicht zugelassenes Medikament aufmerksam, das sein Vorgänger einigen Patienten verabreicht hat.
Der eigentliche Kriminalfall aber rückt hier etwas in den Hintergrund. Dafür spielen die skurrilen Emmentaler eine wichtige Rolle. Während in der Stadt der Markt der Medizin für Gesunde floriert, rennen die Menschen hier nicht wegen jeder Kleinigkeit in die Praxis. Ein Arzt braucht in dieser Gegend viel Wissen über das Leben und die Persönlichkeit seiner Patienten, um ihre Leiden richtig einschätzen zu können. Als Ben Sutter zum Beispiel zögert, zu Gottfried Wicki vom Hämelbachboden zu fahren, nur weil dieser wegen Atemnot den Stall nicht fertig machen kann, erinnert ihn die Praxisassistentin: „Wenn der Bode-Godi seine Arbeit im Stall abbricht, dann würde ich an Ihrer Stelle alles stehen und liegen lassen.“ Nebst seiner Praxisassistentin erhält Sutter auch Unterstützung von seinem Vorvorgänger, dem Doktor Eggimann. Er hat die Praxis fast 30 Jahre lang geführt und einige Patienten wenden sich noch immer zuerst an ihn. Eggi, wie er überall genannt wird und der jeden Satz mit einem langgezogenen „Jääh“ beginnt, hat eine ganz eigene Sicht der Dinge, denn er erkennt Menschen und ihre Krankheiten an der Aura.
Zwischen all den ähnlich aussehenden Hügeln der Napflandschaft läuft Sutter schnell Gefahr, sich in den Gräben und Tälern zu verirren, dem Goldnapf zu verfallen, in den Fettnapf zu treten oder den Giftnapf zu übersehen.

„Giftnapf“ ist 2008 beim Nydegg-Verlag in Bern erschienen und umfasst 379 Seiten.

Widerwasser
Der bisher neueste Krimi von Paul Wittwer ist auch sein schrägster und allemal lesenswert. Mauro Matter ist kurz vor der Facharztprüfung am Tiefpunkt seines Lebens angelangt. Seine Ehe ist gescheitert, seine Tochter darf er nicht mehr sehen und gerade hat er seinen Job im Behandlungszentrum des City West verloren. Deprimiert betrinkt er sich mit dem Penner Pascal Oberli in der Berner Matte am Aareufer mit einer Flasche Grappa. Während er, wieder alleine, so ins Widerwasser des Flusses starrt, spielt er mit dem Gedanken, sich einfach ins kalte Wasser fallen zu lassen. Plötzlich fällt von der Kirchenfeldbrücke ein Mann direkt vor seine Füsse. Als Mauro Matter die Ähnlichkeit mit dem Toten auffällt, tauscht er kurzerhand dessen Sachen mit seinen und nimmt die Identität von Alex Goldmann an. Nun muss Mauro sich auf die Suche nach seinem neuen Ich begeben und folgt den Spuren eines Toten. Zur selben Zeit wird in Bern seine vermeintliche Leiche gefunden, die aber bei der Polizei schon bald Fragen aufwirft. Bei seiner Aktion unter der Kirchenfeldbrücke hat er ungewollt einige Lebenslinien neu verknüpft und so gerät sein neu erlangtes Leben mehr und mehr ausser Kontrolle.

„Widerwasser“ ist 2011 ebenfalls beim Nydegg-Verlag erschienen und umfasst 398 Seiten.

Wittwers Krimis sind nicht die grossen Katastrophen-Thriller, bei denen man vom Nervenkitzel schweissige Hände bekommt. Sie beleuchten viel mehr die problematischen Auswirkungen der modernen Spitzenmedizin. Dabei ist der Autor weder belehrend noch spielt er Moralapostel. Viel mehr haben seine Bücher grossen Unterhaltungswert und regen an, wieder einmal einen Ausflug ins Emmental oder nach Bern zu unternehmen.

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Paul Wittwers Krimis lesen sich am besten in der Sonne auf dem Liegestuhl mit Blick auf die Aare.

Nächsten Freitag dann auf Freitagsbloggers die ultimative Liste mit 9 Sommerbüchern für die Ferien.

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