Teil 3 der Trilogie: Liebeserklärungen an Basler Autoren
Geschichten von Matthyas Jenny
Normalerweise mag ich keine Kurzgeschichten, schon gar keine kurzen Kurzgeschichten oder kurze Superextrakte, die grade mal knapp eineinhalb Seiten lang sind. Eigentlich hab ich Matthyas Jennys Taschenbuch nur aus Höflichkeit gekauft, weil ich ihn mag und in seinem Laden mal ausgeholfen habe. Und auch, weil ich signierte Bücher sammle. Ich wollte nur schnell reinschauen und ein wenig drin querlesen. Das Taschenbuch des mürrischen Buchhändlers gleich um die Ecke von meinem Zuhause hab ich dann in einem Zug durchgelesen. Denn die schrägen Fragmente aus Jennys Leben sind spannend und haben mich sehr berührt. Und das nicht nur, weil ich den Siebzigjährigen seit ein paar Jahren kenne. Zugegeben, Jennys Geschichten haben eine schlichte Struktur, verfügen dafür aber über einen gewissen Bukowski-Charme. Es ist schwierig zu erklären, was Jennys Geschichten lesenswert macht. Eigenwillig, wortkarg, stellenweise deprimierend bis unerträglich: die Stories sind ganz einfach“jenny“. Ganz so wie der bekannte Basler Buchhändler, der die Bachletten Buchhandlung nach dem Tod von Ursula Wernle, seiner grossen Liebe, acht Jahre lang alleine weitergeführt hat. Trotz finanziellen Engpässen hat sich der Bücheraktivist kompromisslos und kämpferisch über Wasser gehalten.
Mit allen Wassern gewaschen und von allen Schweinehunden gehetzt
Jennys Stories sind Retrospektiven und Momentaufnahmen aus seinem Leben. Mit einigen Strichen zeichnet er ein atmosphärisches Bild, reduziert aufs Notwendigste, aber dennoch von starker Ausdruckskraft. Aufwühlende Bilder eines Menschen, der im Leben vieles ausprobiert hat und immer an die Grenze ging und auch darüber hinaus. Er beleuchtet kleine Details und Intimitäten des Alltags und dabei kommt ihm schrecklich nah. Er erzählt manchmal in der Ich-Perspektive und manchmal in der dritten Person. Die Geschichten berichten über seine enge und farblose Kindheit, seine bürgerlichen Eltern und deren Tod. Oder über seine Reisen durch die USA in den Siebzigerjahren: Er reist mit dem Greyhound, ist auf der Suche nach Bukowski, lebt auf der Strasse und wird ins Leben von Pennern und Junkies reingezogen: „…..mit Tramps wie wir, sozusagen mit allen Wassern gewaschen und von allen Schweinehunden gehetzt.“
Schatten des Tages
Er schreibt immer wieder über das Ende einer Liebe, über die Beziehungslosigkeit und den „cold fuck“. Jenny – der seit über dreissig Jahren keinen Alkohol mehr angerührt hat – berichtet über seine Alkoholsucht als junger Mann und über die Tristesse, nachdem seine Frau abgehauen ist und ihn mit den zwei kleinen Kindern alleine gelassen hat. Er beschreibt auch die Sorgen eines alleinerziehenden Vaters, der mit seiner kleinen Tochter versucht, die Nacht auszusperren, weil sie von Ängsten gequält wird: „Vielleicht sind die Schatten des Tages die Reste der Nacht, die zurückgeblieben sind, weil sich die Nacht auf der Flucht vor dem Tag so beeilen musste.“
Unterwegs bis nach Bagdad
Die stärkste Erzählung ist aus meiner Sicht „Die Beschreibung der Tiefsee“. Sie ist die umfangreichste seiner Kurzgeschichten und liest sich wie ein Krimi. Sie beschreibt die Reise des jungen Jenny mit seinem Sohn im VW-Kastenwagen nach Griechenland. Bei seinen Reisebeschreibungen spielt nicht die Landschaft eine wichtige Rolle, sondern die Geschehnisse, die das Innenleben der Protagonisten reflektieren. So auch in „Road Runner“, wo er beschreibt, wie er Webmaschinen nach Bagdad transportiert, um Araberkinder vom Teppichknüpfen zu erlösen. „Wir sitzen in den Kabinen, eine Jugo-Rast-Hure oder ein Stricher auf dem Beifahrersitz, aber meistens alleine mit hundert Tonbandkassetten und jagen uns tagelang, wochenlang mit voll aufgedrehten Motoren nach. Durch das Schütteln geil und hirnlos; das Auf-und Niederstampfen der Kolben in den Kreislauf übergehend. “
Die versprochene Liebeserklärung
Nichts ist schwieriger als eine Liebeserklärung an Matthyas Jenny! Es ist in seinem Fall einfacher eine Liebeserklärung an die verstaubte und chaotische Bachletten Buchhandlung zu machen. Oder an die Veranstaltungen im kleinen Literaturhaus unten im Keller, die er mit viel Herzblut organisiert hat: die Lesungen mit verschiedensten Autoren, Philosophen und anderen Charakteren der schreibenden Zunft, begleitet von einem Apéro und manchmal sogar Musik. Oder mein persönliches Highlight: Der Schreibwettbewerb für Jugendliche, den er 2013 im Rahmen des 20-Jahre-Jubiläums der Bachletten Buchhandlung durchgeführt hatte. Zwei Gewinnerinnen und ein Gewinner der jeweiligen Alterskategorien gewannen je einen 100 Franken-Büchergutschein. Jenny war jedoch zu erschöpft, um für die Preisverleihung eine Einladung zu versenden. Und so sassen wir Eltern alleine im Publikum und die Jugendlichen lasen ihre Texte vor leeren Stühlen. Dennoch: wie glücklich wir waren in diesem Augenblick, eine zusammen gewürfelte Gruppe Menschen, die sich trafen, einzig und allein wegen Jennys Leidenschaft für Literatur. Die vielleicht leisesten Liebeserklärungen an Matthyas Jenny sind die vielen Bücher in meinem Regal. Entdeckungen, rausgeklaubt aus den Büchertürmen, die den Boden verstellen und bei der kleinsten Berührung zusammenfallen. Und hinter dem Tresen steht der Buchhändler, fischt Literaturperlen aus dem Büchermeer und präsentiert sie stolz wie der Tiefseetaucher seine Beute. Diese Bücher, die, wenn man sie öffnet, nach kaltem Zigarettenrauch riechen. Und einem das Gefühl geben, ein klein wenig zu Hause angekommen zu sein: in Basel, im Herzen des Bachletten-Quartier auf einer literarischen Insel für lesehungrige Seelen.
Ein Lebens- und Literaturaktivist
Matthyas Jenny wollte schon immer die Leute zum Lesen bringen. Und das ohne den ganzen literaturwissenschaftlichen „Quatsch“, dafür mit einer Webseite für Online-Bestellungen. Oder Übernachtungen im Buchladen und einem „Dinner for Two“, mit denen der Lebenskünstler seine Gäste inmitten von Büchern bewirtete. Jenny war nicht immer Buchhändler und Inhaber des kleinen Literaturhauses, nein, er war schon immer alles Mögliche. Er brach seine Ausbildung ab und schlug sich mit Gelegenheitsjobs und Reisen durch. Er war unter anderem Schauspielschüler, Gärtner, Fernfahrer, Bühnenarbeiter, Melker, Anlageberater und Reisejunkie. Aber vor allem war er Poesieliebhaber, Dichter und Initiant des deutschsprachigen „Poesietelefon“ und der Aktion „Tag der Poesie“. Jenny ist auch Schriftsteller und schrieb diverse Kurzgeschichten, die unter anderem in den NZZ-Wochenendbeilagen publiziert wurden. Parallel dazu betrieb er jahrelang den Verlag „Nachtmaschine“, verlegte über 140 Titel und kümmerte sich als alleinerziehender Vater um seine zwei Kinder. Obwohl sich Jenny immer gegen die Bequemlichkeit und Überheblichkeit des literarischen Establishment aufgelehnt hatte, stellte er seinen Literatur-Aktivismus gerne in den Dienst der Öffentlichkeit. So war er beispielsweise Gründer des „Literaturhaus Basel“ und der „BuchBasel“ – für sein Engagement erhielt er 2011 den Kultur-Preis der Stadt Basel.
Gekündigte Liebe
Matthyas Jenny hat seine Facebook-Seite bereits gelöscht und tausenden von Facebook-Freunden lautlos seine Liebe gekündigt. Im September werden die Probst-Zwillingsschwestern die Bachletten Buchhandlung übernehmen. Und wir alle werden ihn, seinen Zigarettenrauch und seine Launen vermissen. Sein sparsames Lächeln an guten Tagen.
„Zukunft“, sagte er, „Zukunft ist in etwa so, wie wenn du die Tiefsee beschreiben möchtest. Du kannst nur ahnen, was dort unten ist. Vielleicht wird man einmal wissen, was sich dort unten befindet. Dann, wenn man es weiss, kann es nur die Hölle, das Ende, der Tod sein.“ Bei den Jenny-Stories gibt es selten ein Happy End, aber die Hoffnung auf eine Zukunft bleibt immer erhalten.
„Die Ankunft der Nacht“ von Matthyas Jenny, 50 Stories im Maro Verlag Augsburg 2014, 242 Seiten: kann auf bachletten.ch bestellt werden.
Teil 1 der Trilogie: Liebeserklärungen an Basler Autoren
Teil 2 der Trilogie: Liebeserklärungen an Basler Autoren