Reiseberichte

Fremdes Vertrauen

Text und Bilder von Fabian Gubser

In der aufgeräumten Küche stehen keine zwei Gläser, die gleich sind. Das enge Schlafzimmer ist mehr hoch als lang. Eifrig führt uns Afroditi durch ihre vier Wände. Vier Tage werden Alex und ich hier wohnen. Vor gerade mal zehn Minuten hat uns die Zwanzigjährige am Busbahnhof von Patras in Empfang genommen, jetzt übergibt sie mir ihren einzigen Wohnungsschlüssel. Ich bin begeistert.

 

Griechisch für Anfänger

Alex und ich wollten weg, aber nicht zu weit. Wir buchten einen Flug nach Athen und besuchten die grosse griechische Halbinsel, den Peloponnes. Da wir beide die Welt und ihre Bewohner kennenlernen wollen, suchten wir auf couchsurfing.com nach einer kostenlosen Übernachtungsmöglichkeit. Und fanden so zu ihr, der Göttin der Liebe: Afroditi.

Freitagsbloggers Afroditi stöbert in ihrem Smartphone.
Afroditi stöbert in ihrem Smartphone.

Die Theaterwissenschaftlerin mit Hippie-Genen möchte Schauspielerin werden. Sie liebt ihren Studiengang. Vor neun Wochen beschlossen ihre Professoren jedoch plötzlich, den praktischen Unterrichtsteil massiv zu reduzieren. Auch Afroditi war dagegen und besetzt seither ihre Fakultät.

Der ältere Campus der Universität von Patras ist schon 1973 von den Studenten eingenommen worden, damals aus Protest gegen die Militärdiktatur. Gelernt wird darin bis heute: Maria, die gutaussehende Freundin von Afroditi, erleichtert Immigranten den Einstieg, indem sie ihnen kostenlos Griechisch unterrichtet. In ihrem anderen Job im Supermarkt wird sie statt mit einem guten Gewissen mit gerade mal 20 Euro pro Tag belohnt.

Freitagsbloggers Maria, lehrt Asylanten kostenlos Griechisch.
Maria, lehrt Asylanten kostenlos Griechisch.

Zerstörter Bio-Rhythmus

Auf dem Weg nach Patras sehen wir fast nur leere Baustellen, sämtliche Bagger und Bulldozer stehen still. Die Menschen, die wir treffen, sind sich das gewohnt. Die Unzufriedenheit mit dem Staat wird nur noch mit Galgenhumor bekämpft. Erwartungen an die neue Regierung sind nicht vorhanden. Tourguide Justin sieht das pragmatisch: Seine Schwiegermutter musste früher mit vier Geschwistern ein Paar Schuhe teilen. Nur jeden vierten Tag besuchte sie deshalb die Schule.

Freitagsbloggers DJ in der Jazz-Kantine.
DJ in der Jazz-Kantine.

Und dann tauchen wir ein in das Nachtleben. Wir zerstören unseren Bio-Rhythmus. Getanzt wird im Club vis-à-vis von alten Römer-Ruinen, es ist unglaublich laut. Ich greife in meine Jackentasche, ertaste zwei kleine Stöpsel, es geht weiter.

Ich habe Hunger, ich esse Souvlaki (fein mariniertes Schweinefleisch mit Zubehör im Pita-Brot). Nach anfänglichen Schwierigkeiten schliessen wir uns dem Lebenstempo ohne Zeitgefühl an: Die Uhr wird überflüssig. Alex und ich schlafen aus. Die massiven Häuser isolieren ausgezeichnet, in der Nacht bleibt es unangenehm kühl. Gut, habe ich meinen Schlafsack dabei.

Keine Identität

Eine steile Strasse führt zur Festung von Patras, die noch gut erhalten ist. Bis auf ein zeitunglesendes Paar, das uns einen Prospekt über die EU-finanzierte Aufwertung der Burg in die Hände drückt, sind wir allein. Kein einziger GoPro-Tourist. Auf dem Verteidigungsturm lasse ich meinen Blick über die Umgebung schweifen. Es gibt kein einziges Identität-stiftendes Bauwerk, ich könnte genauso gut in Spanien sein. Unter mir verlässt eine Autofähre den Hafen Richtung Italien. Dort schmeckt der Kaffee nur wenig besser als hier, stelle ich später fest.

Freitagsbloggers Auf der Festung von Patras.
Auf der Festung von Patras.

Die günstigen Preise in den stilvollen Cafés der Studentenstadt laden zum Verweilen ein. Unsere Gruppe ist nicht allein. Griechische Hände bewegen sich wie wild, wenn sie eine Geschichte erzählen, hören aber auch gerne zu. Pro Tag kosten wir durchschnittlich drei verschiedene Espressos. Afroditi zeigt sich verwundert über die Geschwindigkeit, mit der wir unseren Cappuccino hinunterstürzen. Bei ihren Freunden kann sich dieses Ritual über mehrere Stunden hinziehen.

Früh quälen wir uns aus dem Bett und verlassen Patras halbschlafend im KTEL-Bus. Einen ganzen Tag dauert die Fahrt nach Areopolis, unserem nächsten Ziel. Vorbei an schneebedeckten Bergen und streunenden Hunden, die allen gehören. Die schicke, im Voraus gebuchte Unterkunft in Areopolis erscheint uns plötzlich nicht mehr erstrebenswert. Das Couchsurfing-Virus hat uns infiziert.

Ausprobieren lohnt sich!

Über couchsurfing.com zeigen aufgeschlossene Menschen ihre Welt einem (oder mehreren) Fremden. Übernachtet wird auf dem Sofa. In unserem Fall bekamen Alex und ich gleich die ganze Wohnung – Afroditi übernachtete in der Zwischenzeit bei ihrem Freund George. George ist ihr ruhiger Gegenpol und ihre bessere Hälfte, hochanständig und leicht melancholisch. Der angehende Geologe verriet uns sein Lieblingsbier (Amsel) und seine Träume (eine eigene Rock-Bar).

Freitagsbloggers Zu Hause bei George, der einen Strassenhund adoptiert hat (mit Alex und Afroditi).
Zu Hause bei George, der einen Strassenhund adoptiert hat (mit Alex und Afroditi).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert