Sommerliches

Über eine detailverliebte Bauherrin

Ein Haus in der Wildnis - Annie Proulx

Text und Bild von Jana Kilchenmann

Es gibt Zeiten, in denen man kein aufrüttelndes, politisches, gesellschaftskritisches oder gar abgedrehtes Buch lesen mag. Zeiten in denen man eines braucht, das einfach gut tut. Sei das sprachlich oder inhaltlich. Für mich war das über die Festtage „Ein Haus in der Wildnis“ von Annie Proulx.

Die kanadisch-amerikanische Schriftstellerin, die mit „Schiffsmeldungen“ 1993 einen weltweiten Erfolg landete, erzählt in ihrem bisher letzten Buch, wie sie als 70-jährige Frau ein Grundstück in der Wildnis kauft und darauf ein Haus errichtet. Dabei ist Proulx so detailreich, dass sie nahezu den Bauplan des Buches sprengt. Denn ihre Erinnerungen beginnen in der Kindheit. Umgezogen ist sie wahrlich oft, weil ihr Vater, ein Frankokanadier, ständig die Stelle wechselte „und die Stufenleiter seines sozialen Ehrgeizes hinaufkletterte“. Doch über seine Familie und Herkunft bevorzugte er stets zu schweigen, so dass die Kinder Geheimnisse vermuteten. Diese Neugierde auf ihre Familienursprünge liess der Autorin scheinbar keine Ruhe. Zusammen mit einer Genealogieforscherin versuchte sie die Familiengeschichte bis zu den ersten amerikanischen Siedlern zurückzuverfolgen. All dies dokumentiert und erzählt sie sorgfältig und schmückt es mit Anekdoten aus Zeitungsausschnitten aus.  Dabei berichtet sie gleichzeitig über die Geschichte des Landes, über Pioniere und Indianer.

Auch ihre eigene Geschichte über den erfüllten Lebenstraum vom Haus in der Wildnis gleicht einer Siedlergeschichte. Sie kauft in der Ödnis von Wyoming 640 Morgen Land (eine Quadratmeile) ohne Strom und Telefonleitung, umgeben von Steppe und Felsklippen, heimgesucht von Wind und Wasser und tauft das Grundstück „Bird Cloud“. Ein Bild am Himmel inspiriert sie dazu: „Es war ein windiger Tag mit einem Himmel voll langgezogener Feder- und Schleierwolken, und plötzlich sah ich im Westen, wo in der Ferne das Grundstück lag, eine Wolke in Form eines riesengrossen Vogels, Kopf und Schnabel und Brust, die über den Rocky Mountains hing.“

Die Schriftstellerin geht mit einem beinharten Willen ans Werk und schöpft aus ihrer gesamten Lebenserfahrung, denn „es war ein wunderschönes und einzigartiges Stück Land, abgelegen und eindrucksvoll, und ich verliebte mich unsterblich“. Das Grundstück liegt in der Gegend von Saratoga am North Platte River westlich der Medicine-Bow-Berge. Proulx hält diese Landschaft fest indem sie akribisch allerlei Pflanzen, Vögel und andere Tiere erfasst, beschreibt und teilweise auch skizziert.

Da die Autorin schon viele Häuser von innen gesehen und auch viele bewohnt hat, hat sie exakte Vorstellungen davon, wie ihr Traumhaus werden soll. Mit der Handwerkertruppe der „James-Bande“ soll es materialisiert werden. Das ist der Beginn einer Serie aus Pannen, Abenteuern, Irrwegen, endlosen Wartezeiten, Verzögerungen und zähen Verhandlungen. Es scheint, als würde die Bauherrin mit ihrer Detailversessenheit alle verrückt machen. Der hölzerne japanische Badezuber, die Farbe der Fensterrahmen, das Material der Küchenablage, die Installation der Solaranlage, die Grösse des Haustechnikraums – alle Punkte werden mit der gleichen Ernsthaftigkeit in Angriff genommen. Selbstironisch trägt ein Kapitel des Buches den Titel „Details, Details, Details“. Diese minutiöse Hartnäckigkeit, vor allem mit Blick auf die technischen Aspekte, könnte manch einen Leser ermüden. Man muss dabei bedenken, was für Strapazen das für eine 70-Jährige gewesen sein müssen, immer wieder auf die Baustelle zu reisen, alle Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen – und all das ohne Unterstützung aus ihrem Umfeld. Ihre Freunde raten ihr schon zu Beginn zum Verkauf des Grundstückes und einer ihrer erwachsenen Söhne gesteht ihr, dass ihm die Umgebung nicht gefällt.

„Ein Haus in der Wildnis“ ist definitiv nicht nur ein Buch für Häuslebauer. Wie auch Annie Proulx’ „Schiffsmeldungen“ oder die Kurzgeschichte „Brokeback Mountain“ ist es tief in die Landschaft eingebettet und inspiriert dazu, mehr und besser zu sehen.

„Ein Haus in der Wildnis“ von Annie Proulx ist 2011 unter dem Originaltitel „Bird Cloud. A Memoir“ bei „Simon & Schuster“ in New York erschienen. Die deutsche Ausgabe erschien beim „btb Verlag, übersetzt von Melanie Walz und ist seit 2013 auch als Taschenbuch erhältlich. Es umfasst 284 Seiten und kostet 15 Franken. 

Nächste Woche reisen wir mit Dominique Götz nach Ashiya-Kobe-Osaka-Tokyo

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