Unterwegs

Schwere Blumen

Text und Bilder von Dominique Götz

Es gibt nur wenige Bücher mit wirklich starken Titeln. Titel, die eine gewaltige Fülle an Assoziationen hervorrufen. Doch „Schwere Blumen“ ist so einer: schwer impliziert schwierig, tragen, ertragen und Blumen implizieren Natur, Poesie, Mystik, Ästhetik. Und so passt dieser Titel ausgezeichnet zum Roman von Ikezawa Natsuki, der im Rahmen des Culturescapes Tokyo 2014 ins Literaturhaus Basel zu einer Lesung eingeladen wurde. Sein Buch „Die blumentragende kleine Schwester“, wie der wörtlich übersetzte japanische Originaltitel lautet, hat 2000 in Japan den Mainichi-Kulturpreis gewonnen und wurde speziell zum Anlass des Culturescapes auf Deutsch übersetzt.

Die deutsche Übersetzung „Schwere Blumen“ ist denn also frisch ab Presse. Ich bin die Erste, die es am Büchertisch kauft. So erfahre ich erst an der Lesung, dass es beim Roman um die junge Japanerin Karou geht, die ihren heroinabhängigen Bruder Tetchi, einen Maler, aus einem balinesischen Gefängnis retten will. Sie ist auch die Person, die Tetchi als Teenager zum Durchbruch verhalf: Der Bruder malte sie, einen schweren Blumentopf tragend. Mit diesem Bild gewann er den Malwettbewerb am Gymnasium. Das gab ihm das Selbstvertrauen, an sein Talent als Maler zu glauben und seine professionelle Laufbahn voranzutreiben.

„An einem Vormittag im Frühjahr…erblicktest du sie im Garten. Sie war gerade im Begriff einen Blumenkübel hereinzubringen. Es waren Bougainvielleas und sie hielt den schweren Topf fest umschlungen… Ein fantastisches Bild: wie sich die körperliche Anspannung, diese kostbare Last nicht herunterfallen zu lassen, in ihrer Haltung und ihrem Gesicht widerspiegelte und durch das Licht der Frühlingssonne noch stärker zur Geltung gebracht wurde.“

 

Unterwegs wie im Shinkansen

Die Geschichte besteht aus zwei Teilen, beides Nacherzählungen. Sie funktioniert wie eine Fahrt im Shinkansen, einem japanischen Schnellzug. Die Schwester sitzt in Fahrtrichtung und erzählt, was sie gerade sieht und blickt in die Zukunft. Der Bruder sitzt mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, blickt zurück und erzählt aus seinem Gefängnisalltag und von seiner Heroinsucht, von Liebschaften und seinen Reisen in Südostasien als Maler und von seiner Kindheit. Das alles in einem rollenden Sprachrhythmus: leise und gepflegt. Man sieht die Landschaft vorbeiziehen, sieht saftige Reisfelder, das Meer, Tempel, kleine Dörfer voller Kinder und Backpacker-Hotels. Unentwegt und zielsicher bewegt sich dieser Geschichten-Zug auf die Urteilsverkündung zu. Der Aufbau ist gut strukturiert und schlicht. Abwechslungsweise erzählen Kaoru und Techti über sich und über einander. Diese Einfachheit der Erzählung bringt die Figuren um so mehr zur Geltung. Und so ist denn die eigentliche Stärke des Buches, die Entwicklung der beiden Geschwister und deren Beziehung zueinander, die sehr differenziert beschrieben wird.

Stark ist die Heldin der Geschichte: die kleine Schwester. Sie spricht in der Ich-Form und ist daher unmittelbarer als ihr Bruder, der in der Du-Form spricht. Dazu muss man sagen, dass die japanische und die deutsche Sprache nicht kompatibel sind. Die Japaner haben viel mehr Perspektiven zur Verfügung. Beispielsweise die männliche Ich-Form boku die dann im Deutschen mit der Du-Form übersetzt wird. Dafür verfügt die deutsche Sprache über eine grössere Palette an Zeitformen. Möglicherweise hätte ein deutschsprachiger Autor die Kapitel von Kaoru ins szenische Präsens gesetzt. Denn die Geschichte ist fast ausnahmslos in Präteritum geschrieben. Abgesehen von ganz wenigen inneren Monologen.

Protagonisten à la Hollywood

Der Roman ist gut verdaulich, aber nicht oberflächlich. Denn Ikezawa beschreibt die südostasiatische, insbesondere balinesische Kultur. Er schildert ein unverbrauchtes Bali, Thailand und Kambodscha in der Zeit vor dem Massentourismus. Dabei lässt er den Leser bis Seite 185 im Ungewissen über den zeitlichen Spielraum seiner Geschichte. Das ist kunstvoll. Wir erfahren erst durch den Sohn von Tetchis vietnamesischer Geliebten, der Tetchi ein im Dschungel verstecktes amerikanisches Flugzeug zeigt, dass sich die Geschichte etwa 10 Jahre nach dem Vietnamkrieg abspielt. Also am Ende der Hippiezeit und zu Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs in Japan und Europa. Das erklärt auch, warum keiner der Protagonisten Geldprobleme hat. Der japanische Yen war stark und auch den Europäern ging es wirtschaftlich gut. Südostasien war noch sehr billig und daher konnten die Rucksacktouristen ein relativ unbeschwertes Leben führen. Aus diesem Grund liest sich der Roman vielleicht ein wenig wie ein amerikanischer Hollywoodfilm: Mit Protagonisten wie der deutschen Wirtschaftsprüferin und Kunstexpertin Ingeborg, die Tetchi zum Heroinkonsum verführt. Oder dem attraktiven spanischen Hippie Manolo adliger Herkunft: ein Baliexperte, Surfer und Kajakfahrer. Oder den balinesischen Tänzerinnen in prächtigen Kostümen. Und vor allem dem indonesischen Geheimagenten, der in einer regelrechten Thriller-Nummer die Machenschaften des Staatsanwaltes und des Polizeichefs aufdeckt. Typisch japanisch ist die ganze Entourage von Kaoru: der japanische Geschäftsmann und Indonesienkenner Herr Inagaki, der Kaoru einen Anwalt, einen Dolmetscher und einen Fahrer organisiert und ihr tatkräftig und unentgeltlich zur Seite steht.

 

Schönes trauriges Engelchen

Wollte man das Buch kritisieren, könnte man sagen, dass es zu schön daherkommt. Die Sprachbilder sind sehr ästhetisch. Sogar die Beschreibungen von Tetchis Leben im Gefängnis oder seiner Heroinsucht sind nie wirklich aufwühlend oder ekelerregend. Es hat weder Mücken noch Kakerlaken und es stinkt nur selten, was in den Tropen doch eher ungewöhnlich ist. Irritierend wirkt die Benennung der Sucht als „trauriges Engelchen“. Schon der Diminutiv „Engelchen“ ist zu banalisierend. Alle, die sich an die beklemmenden Zustände der Drogenszene der 80er Jahre erinnern, können über die Beschreibung von Tetchis Heroinabhängigkeit nur den Kopf schütteln. Die existentielle Misere der Drogensucht wird nur am Rande beschrieben und irgendwie scheint es zu einfach, wie Tetchi von den Drogen wieder los kommt. Etwas zu einfach gestrickt sind im Roman auch viele andere Lösungen zu Problemen; doch wenigstens sind sie sehr kreativ. Langweilig wird es einem jedenfalls beim Lesen nicht. Denn der Autor schafft es den Leser über den Ausgang des Gerichtsverfahren bis zum Ende des Buches im Ungewissen schmoren zu lassen. Und: es gibt einige sprachlich grossartige Abschnitte, die auch den feinen Humor des Autors widerspiegeln. Zum Beispiel als Kaoru sich wünscht, sie könnte für ihren Bruder beten, wie die Balinesen in ihren Tempeln.

„Beten ist ein Paradoxum. Wenn es in Erfüllung geht, hat man sich auf einen Handel mit Gott eingelassen. Ungefähr so, als würde man telefonisch eine Sake-Bestellung aufgeben und sie geliefert bekommen. Vor der Wunscherfüllung ist Beten ein unschuldiger Akt…“

Natsuki Ikezawa’s Hippies

Möchte man böse sein, könnte man behaupten, dass Natsuki Ikezawa in diesem Buch seine Jugenderinnerungen an Südostasien etwas verklärt und beschönigt wiedergibt. Wie er an der Lesung erklärt, ist er selber in Südostasien als Hippie herumgereist und ist mit vielen der im Buch beschriebenen Figuren in Kontakt gekommen. Die Geschichte basiere auf einer wahren Begebenheit, so erläuterte er und betonte aber, dass er selber nie Heroin konsumiert habe. Die Rolle der Verführerin Ingeborg sei jedoch eine fiktive Figur, die er kreiert habe, um die Geschichte voranzutreiben. Er hoffe, dass sie nicht künstlich wirke und dass sie gelungen sei.

Natsuki Ikezawa im Literaturhaus Basel beim Signieren seiner Bücher, 29. Oktober 2014
Natsuki Ikezawa im Literaturhaus Basel beim Signieren seiner Bücher, 29. Oktober 2014

Und ja, der Roman ist gelungen, unterhaltsam im Stile eines japanisch-literarischen Kultur-und Reisekrimis. Enttäuschend ist nur der Schluss, der bis ins letzte Detail aufgelöst und reflektiert wird, was wirklich schade ist. Denn die Leser wären genug intelligent, die Verbindungen zwischen den balinesischen Mythenfiguren und den Protagonisten herzustellen. Dennoch ist das Buch empfehlenswert. Insbesondere für alle Frierenden und Erschöpften, die dem grauen und hektischen Dezember entfliehen möchten: Die Reise startet in Paris, führt mehrmals nach Tokyo und Jakarta retour, nach Bali, Chiang Mai und Angkor Wat. Dazu abschliessend ein Zitat aus einem Dialog zwischen Ingeborg und Tetchi:

„Die Leute reden immer davon, wie schön das Leben sei“, sagte Ingeborg, während sie nach draussen in den Regen schaute. „Aus dem kalten Nichts des Todes ins Dasein zu treten, wo man für eine bestimmte Zeit warme Luft atmet. Fasziniert der Sinfonie von Eiweissmolekülen im Körper lauscht…  – isst, liebt, schläft, sich sonnt – alle scheinen das für das Wunderbarste auf der Welt zu halten. Hymne des Lebens, Elan vital, Frühlingsfest.“

_DSC7938

Schwere Blumen“ von Natsuki Ikezawa aus dem Japanischen übersetzt von Sabine Mangold und mit einem Nachwort von Eduard Klopfenstein, 2014 ABERA Verlag Markus Voss, 31.50 Franken

Originaltitel: „Hana o hakobu imoto“, Copyright@IKEZAWA Natsuki, 2003

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert