Nordamerika Reiseabenteuer

Jazz als Fluchthelfer – oder Dreck, Sack and rock n roll

Text und Bilder von Daniel Meister

Jack Kerouacs Buch „on the road“ steht, wie Penny Vlagopoulos in einem Nachwort schreibt, in amerikanischen Buchhandlungen als einziges Buch neben der Bibel (!) hinter der Kasse – weil es sonst so oft geklaut wird. Jack Kerouac, selbst gläubiger Katholik und Gelegenheitsdieb, könnte sich kaum ein grösseres Kompliment gewünscht haben.

In „on the road“ beschreibt Kerouac weitgehend autobiografisch, wie er per Anhalter, mit Greyhound-Bussen oder im Bauch von Frachtzügen jahrelang kreuz und quer durch die USA und das Mexiko der späten 1940er und der frühen 1950er reist. Genauer: Wie er sich, bewaffnet mit ein paar wenigen Dollars und einem Seesack, an die dreckigen Bruchstellen dieses Amerikas begibt. Von einsamen Landstrassen und nächtlich stillen Frachtzugdepots ins brüllende Nachtleben gigantischer Metropolen; von den Kornfeldern Montanas bis in die Wüsten von Texas. Immer mit bescheidenen Mitteln, immer getrieben, immer auf der Suche nach dem, was er verpassen könnte, wenn er einen Weg nicht geht: „What’s in store for me in the direction I don’t take?“ (Was verpass ich in der Richtung, in die ich nicht gehe?“)

Um möglichst wenig zu verpassen, geht Kerouac meist nicht allein auf Reisen, sondern mit einer ganzen Clique von Querdenkern, Aussenseitern und Poeten – mit der zukünftigen Beat-Generation (siehe unten). Und vor der Kulisse des spiessbürgerlichen Vorstadtamerikas ihrer Zeit werfen die jungen Beatniks alles über den Haufen, was ihre Zeitgenossen für moralisch und erstrebenswert halten: Sie sind verrückt nach Jazz, wechseln öfter ihre Partner, sind homosexuell, interessieren sich für den Buddhismus und den Islam, experimentieren mit Drogen, kümmern sich nicht im Geringsten um Rassengrenzen oder sonst irgendeine Grenze. Sie haben zwischen den Reisen selten lange den gleichen Job und schreiben Poesie, die keiner hören will. Ständig auf der Suche nach Inspiration schlafen sie, wo sie gerade hinfallen, machen in den Bars von Denver Halt oder in San Francisco. Kehren nach New York zurück, nur um ein paar Wochen später wieder auf der grossen, einsamen Strasse zwischen den Städten zu landen.

Hauptperson ist dabei nicht Kerouacs Ich-Erzähler Sal Paradise, sondern in erster Linie die grossartig beschriebene, schnell vorbeiziehende Landschaft und in zweiter Linie sein nicht allzu treuer Begleiter Dean Moriarty: manischer Frauenheld, Möchtegern-Schriftsteller, Autodieb, Lebemensch – charismatisch, energetisch, zu seinem grossen Glück lange vor dem flächendeckenden Einsatz von Ritalin zur Welt gekommen. Der ruhigere Kerouac bildet erzählerisch eine Art Gegenpol zu Moriarty. Er sieht sich eher als Protokollant dieser irrsinnigen Trips durch Amerika denn als Mittäter:

And I shambled after as I’ve been doing all my life after people who interest me, because the only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones that never yawn or say a commonplace thing, but burn, burn, burn…

„Ich schlurfte (Dean) hinterher, wie ich dies das ganze Leben lang gemacht habe mit Menschen, die mich interessieren. Die einzigen Menschen, die mich interessieren, sind die Verrückten; verrückt nach Leben und verrückt nach Rettung, die alles auf einmal wollen, nie gähnen oder Phrasen dreschen, sondern die brennen, brennen, brennen…“

Kerouac wäre nicht Kerouac, wenn er sich nicht auch sprachlich keinen Deut um Konventionen scheren würde. Stattdessen präsentiert er uns in dem 310 Seiten langen Werk so ziemlich alles, wovon einem in Schreibschulen abgeraten wird: Er setzt uns unfertige Sätze vor, abgelöst von konfusen seitenlangen Sätzen, er flucht, benutzt Slang; man stolpert beim Lesen sogar über Rechtschreibefehler.

Das hat viel damit zu tun, dass Kerouac bewusst einen eigenen Stil entwickelte, den er „spontaneous Prose“ nannte, spontane Prosa. Vereinfacht gesagt, orientierte er sich dafür am Jazz. Wie ein Jazz-Musiker, so seine Argumentation, solle ein Schriftsteller zwar viel üben, aber die eigentliche Performance müsse Improvisation bleiben. Sprich: Wenn ein Buch geschrieben wird, gibt der Schriftsteller sein Konzert; wurde ein Ton erst mal geschrieben, ist er raus und darf nicht mehr korrigiert werden. Und wie ein wildes Jazz-Konzert im dunklen Hinterzimmer einer heruntergekommenen Bar entwickelt „on the road“ sprachlich einen hypnotischen, rauschhaften Sog, der sich von Höhepunkt zu Höhepunkt hangelt und dazwischen die ganzen gesichterverzerrenden Abgründe menschlicher Existenzen am Rand der Gesellschaft offenbart.

Für „on the road“ hat Kerouac mehrere Fassungen geschrieben. Er blieb seiner Theorie von der „spontaneous Prose“ aber insofern treu, als dass er die endgültige Version in einer Wahnsinnstat von drei schlaflosen Wochen in seine Schreibmaschine hämmerte. Auf eine Rolle aus zusammengeklebtem Sandwichpapier, wahrscheinlich auf Drogen und mit Sicherheit betrunken. Das alles in der Wohnung seiner Mutter, wo er wohnte, wenn er nicht on the road war.

Allen Zweifelhaftigkeiten zum Trotz schuf er damit ein Werk, dessen Einfluss bis heute nachhallt. Schliesslich wandte er als einer der Ersten eine Sprache an, die wegweisend für eine neue Generation von Autoren und Journalisten war. Und nicht nur in der schreibenden Zunft berufen sich heute noch weltweit bekannte Grössen auf Kerouac. Johnny Depp bezeichnete das Buch einmal als „seinen Koran“, Bob Dylan schrieb seinen Hit „like a rolling Stone“ unter dem Eindruck von „on the road“. Moderne Musiker aller Stilrichtungen – von Folk und Jazz bis zu Rap und Rock – erweisen ihm regelmässig die Ehre, was Kerouac besonders freuen dürfte: „The only truth is music.“, Jack Kerouac.

„on the road“ von Jack Kerouac, Penguin Books, 1957

„On the Road Die Urfassung“ von Jack Kerouac, ins Deutsche übersetzt von Ulrich Blumenbach, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 3. Auflage 2013

 

Gut zu wissen: das sind die Beatniks

Schon Ende der 1940er Jahre begannen sich Kerouac und andere Schriftsteller in seinem Umfeld als eigenständige Richtung innerhalb der US-amerikanischen Literatur zu verstehen. Jack Kerouac prägte dafür den Namen Beat-Generation. Das kann ziemlich sicher als bewusste Abgrenzung zur vorhergehenden Lost Generation rund um Ernest Hemingway verstanden werden. „Beat“ ist dabei nicht nur eine Anspielung auf den Bebop-Jazz, sondern bedeutet auch „geschlagen“, „heruntergekommen“, „abgefuckt“ und war durchaus doppeldeutig gemeint. Einige der Beatniks waren Weltkriegsveteranen und hatten nach Kriegsende Schwierigkeiten, wieder ins Alltagsleben zurückzufinden. In der Gruppe kam man bald zur Ansicht, dass man die Gesellschaft als Aussenseiter am genauesten beschreiben konnte. Daher brachen die Beatniks bewusst mit Althergebrachtem und suchten nach neuen Ausdrucksformen, ähnlich wie rund 20 Jahre später die Vietnamkriegsgegner. Skandale waren vorprogrammiert. Den Beatniks wurden unter anderem Pornografie, Volksverhetzung und Gotteslästerung vorgeworfen.
1952 veröffentlichte John Clellon Holmes in der „Sunday New York Times“ das Manifest „this is the beat generation“. Spätestens ab dann wurde die Gruppe gegen aussen wahrgenommen; anfänglich vor allem von Intellektuellen und den ersten Exponenten von dem, was später die 68er werden sollten. Während der zweiten Hälfte der 1950er folgte dann die erste grössere Veröffentlichungswelle von Beat-Titeln. Die Bekanntesten sind nebst „on the road“: „naked Lunch“ (William S. Burroughs, 1959) und das lange Gedicht „Howl“ von Allen Ginsberg, (1955).
Die Bezeichnung „Beat-Generation“ ist auf den ersten Blick etwas irreführend – die Beatniks waren ursprünglich keine Generation im Sinne der 68er sondern eine überschaubare Gruppe von 30, vielleicht 50 Personen. Der Begriff „Generation“ bezieht sich daher eher darauf, dass sich die Gruppe als neuen Jahrgang in der Schriftstellerszene sah. Je bekannter die Beatniks wurden, desto mehr weigerten sie sich allerdings, sich auf Ziele oder Kernaussagen ihrer „Generation“ festzulegen. Allen Ginsberg sagte in einem Interview einmal, dass es die „Generation“ eigentlich gar nicht gebe: „we’re just a bunch of people who want to publish“ (wir sind nur ein paar Leute, die publizieren wollen). Das gestaltete sich anfangs schwierig. Gegen „Howl“ und „naked lunch“ wurden Gerichtsprozesse geführt; man wollte die Bücher wegen Obszönität verbieten. Sowohl Ginsberg als auch Burroughs gewannen allerdings die Prozesse und ebneten damit weiteren Veröffentlichungen den Weg.

 

 

 

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