Text und Bilder von Dominique Götz
Am 24. November 1972 war Mani Matter stark erkältet und übermüdet unterwegs nach Rapperswil, wo ein voll besetzter Theatersaal auf ihn und sein neues Soloprogramm wartete. Mani ist dort jedoch nie angekommen. Er kam auf der Fahrt bei einem Autounfall ums Leben. Geblieben ist seine Stimme, für immer auf Schallplatten, CDs und Youtube verewigt. Eine Stimme wie ein Seelenwärmer, die einem gut tut und die Lieder singt, die uns die Unzulänglichkeiten des Alltags erklären und uns zum Schmunzeln bringen, aber auch zum Nachdenken anregen. Wer Mani Matters Stimme hören möchte, klicke hier oder hier:
Wäre Mani Matter nicht so früh gestorben, würde ich hier bei Freitagsbloggers bestimmt über eines seiner Bücher schreiben. So aber schreibe ich statt dessen über die Biografie „Mani Matter“ von Wilfried Meichtry. Dieses Buch ist eine unpathetische Liebeserklärung an den vielseitig begabten Berner Liedermacher. Und es spendet Trost, denn diese Biografie lässt die Stimme von Mani Matter wieder aufleben. Die Idee, eine Biographie über Mani Matter zu schreiben, hatte Wilfried Meichtry vor zwei Jahren während der Vorbereitungen für die Ausstellungen „Mani Matter (1936–1972)“ im historischen Museum Bern und dem Landesmuseum Zürich, für die er das Konzept erarbeitete. Der grosse Besucherandrang an beiden Ausstellungen machte deutlich, wie wichtig dieser Mann für die Seele der Schweiz immer noch ist.
Als Berner Troubadour gab Mani Matter hunderte von Konzerten. Er litt jedoch trotz seines Erfolges darunter, dass seine gesellschaftskritischen Lieder als „Volks- und Pfadiliedli“ verkannt wurden. Denn er wollte die Leute nicht unterhalten, sondern zum Denken anregen. Der Historiker Wilfried Meichtry hat eine umfassende Biografie vorgelegt, die Mani Matter abseits der grossen und kleinen Bühnen porträtiert. Meichtry interessiert dabei nicht primär Matters Erfolg als Liedermacher, sondern seine Talente als Philosoph, kritischer Denker und Schriftsteller: „Mani Matter hat viel gesungen, aber eigentlich wollte er schreiben, denken, analysieren.“
Dass diese Biografie so gehaltvoll ist, verdankt sie den gründlichen Nachforschungen des Historikers. Das Buch lebt von sorgfältig ausgewählten Ausschnitten aus Briefen und Schulaufsätzen, sowie aus seinen Tagebüchern, den Sudelheften und dem Rumpelbuch. Die Matter-Familie stellte dem Autor auch noch unveröffentlichte Dokumente zur Verfügung. Bemerkenswert ist die umfangreiche Korrespondenz, die von Mani Matters Eltern erhalten geblieben ist. Sehr persönlich und humorvoll sind die Briefe, die Mani an seinen Vater und an seine Ehefrau Joy schreibt. Er erzählt darin unter anderem von seiner Reise nach Köln und Irland oder diskutiert mit seinem Vater über die Jurisprudenz.
Die damals siebenundsiebzigjährige Witwe, Joy Matter, hat den Nachlass ihres Ehemanns umsichtig verwaltet. Sie spürte, was sie mit der Öffentlichkeit teilen musste und was privat bleiben sollte. „Aber wenn vollständiges Bild heisst“, erklärte Joy Matter ihre Position, „dass auch das Intimste öffentlich ausgebreitet werde, dann bin ich entschieden gegen jede Vollständigkeit.“ Ganz im Gegensatz zu den posthum aufgefundenen Tagebuchnotizen von Max Frisch, wo auch die intimsten Details laut getreten wurden, bleibt die Intimsphäre und Integrität von Mani Matter erhalten.
Die Biografie ist chronologisch aufgebaut und beginnt mit Mani Matters Familiengeschichte 1925 und endet mit einem Epilog 1972. Dazwischen eingeflochten ist die Recherche-Reise nach England und Cambridge zusammen mit Joy Matter 2012. Meichtry beschreibt im szenischen Präsens, wie er recherchiert und Leute trifft. Geschickt verwebt er dabei den Reisebericht mit Joys Erinnerungen. Der Text ist dicht und die Fülle an Informationen, die sich über ein halbes Jahrhundert und weit über Bern hinaus erstrecken, sind vielseitig. Dies macht das Buch auch lesenswert für Leute, die Mani Matter nicht gut kennen, aber gerne Biografien oder historische Romane lesen.
Inspiriert von Gottfried Keller begann der sechzehnjährige Mani nach dem Tod seiner Mutter ein Tagebuch zu führen. Das tat er bis zu seinem eigenen Tod 1972. Meichtry verwendet aus diesem Fundus seitenlange Tagebucheinträge, um Mani Matter schreiben, philosophieren und politisieren zu lassen. Er stellt sich nicht zwischen den Leser und Mani, sondern lässt ihn direkt sprechen und wird dadurch zu dessen Sprachrohr. Das schafft viel Nähe. Es ist Meichtry gelungen, ein Buch zu schreiben, das wir gerne auf unserem Nachttisch liegen haben, um Lieblingspassagen aufzuschlagen wie: „….die kleinen Boote, die plätschernd übers nächtliche Wasser Gedanken bringen.“ Der Autor beschreibt auch die Zweifel, die Mani Matter quälten. Er war hin und her gerissen zwischen seiner Rolle als Familienvater, Jurist und Künstler. Er wollte eigentlich Schriftsteller sein, musste aber eine Familie ernähren. Meichtry schreibt: „In all seinen Gedanken waren Selbstzweifel Manis zuverlässige Begleiter.“
Mit dieser Biografie hat Wilfried Meichtry ein einmaliges Zeitdokument der Schweiz des zwanzigsten Jahrhunderts geschaffen. Dieses Buch lässt uns erahnen, welch grossen Schriftsteller und Bühnenautor die Schweiz noch bekommen hätte, wäre Mani Matter nicht mit 36 Jahren verunglückt. Es ist eine Biografie, die sowohl dem Menschen als auch dem Künstler Mani Matter gerecht werden kann. Und es ist eine faszinierende Lebensgeschichte, zu der ein Zitat aus dem Jahre 1963 von Mani Matter selbst am besten passt: „Da ist nur die Sehnsucht nach solcher Ordnung, nach festem Besitz. In Wahrheit ist alles Eingang und Ausgang, Anstrengung, Flucht und ein Bewusstsein der kurzen Dauer…“
MANI MATTER Eine Biografie von Wilfried Meichtry, Verlag Nagel & Kimche 2013, 310 Seiten, 34.90 Franken
Sudelhefte/Rumpelbuch von Mani Matter, Zytglogge Verlag 2011, 269 Seiten, 36 Franken