Reiseabenteuer Winterliches

Expedition in den eisigen Albtraum

H.P. Lovecraft - Berge des Wahnsinns

Text und Bild von Jana Kilchenmann

Kurz nach Halloween fand ein kleines, von einer Segelreise stark mitgenommenes Büchlein den Weg in mein Regal. Eine Horrorgeschichte. Sie blieb nicht lange dort stehen. Die gewellten Seiten sind vom Salzwasser rau und einzelne Bünde lösen sich bereits aus dem Leim.

„Ich muss mein Schweigen brechen […]“, mit diesen Worten beginnt das Buch Berge des Wahnsinns von Howard Phillips Lovecraft, das den Untertitel Eine Horrorgeschichte trägt. Es folgt eine Schilderung des Ich-Erzählers William Dyer, über eine Antarktis Expedition, die er geleitet hat. Die Expedition hat das Ziel, mit einer neuartigen Bohrtechnik Bodenproben zu entnehmen, die zu mehr Wissen über die Erdgeschichte führen sollen. Doch schon auf den ersten Seiten wird klar, dass die Beteiligten mehr entdeckt haben, als ihnen lieb war. Noch wird man im Dunkeln gelassen. Doch der Geologe warnt andere Wissenschaftler und rät ihnen von einer weiteren Expedition abzusehen.

Die Art, wie Lovecraft diesen Einstieg gestaltet hat, ist entscheidend für die weitere Handlung. Er lässt den Protagonisten William Dyer einräumen, dass ihm niemand glauben wird. Um seine Warnung geltend zu machen, sieht sich dieser gezwungen, gegen seinen Willen doch noch alles zu erzählen. Dem Leser wird durch die schriftlichen Schilderungen an andere Forscher klar, dass die Öffentlichkeit bisher nur eine zensierte Version dieser Antarktis-Expedition kennt und erfährt dabei die vollumfängliche Wahrheit.

Lovecraft nutzt für diese Ausführungen einen protokollartigen Erzählstil, der die wissenschaftlich rationale Sichtweise des Protagonisten auf das Erlebte widerspiegelt. Und dies ist ein Punkt, worüber die Lovecraft-Leserschaft geteilter Meinung ist. Für die einen ist es gerade die nüchterne Erzählweise, welche die phantastischen Elemente heraushebt. Andere vertreten wiederum den Standpunkt, Lovecraft habe seinen Mythos aufgelöst, den er über sein Gesamtwerk aufgebaut hat. Denn durch die wissenschaftliche Herangehensweise wird einiges aufgeklärt, was in vorherigen Werken Quelle des Schreckens war.

Sagenhafte ältere Wesen 

Es geht hier um den Cthulhu-Mythos in dem Lovecraft Wesen erschaffen hat, die zum Teil vor Milliarden Jahren aus dem Universum auf die Erde gekommen sein sollen. Er nennt diese Wesen die „Grossen Alten“. Das bekannteste Werk aus diesem Mythos ist Necronomicon, worin es um das gleichnamige erfundene Buch des „verrückten Arabers Abdul Alhazred“ geht und in dem alle Geschöpfe und Orte genau beschrieben sind. In Berge des Wahnsinns wird mehrmals darauf Bezug genommen. Zum Beispiel in einem Protokoll aus einem Zwischenlager wo erste Funde gemacht worden sind: „Anordnung erinnert einen an bestimmte Ungeheuer in urzeitlichen Mythen, insbesondere sagenhafte Ältere Wesen in Necronomicon.“

In Berge des Wahnsinns gehen die Wissenschaftler davon aus, dass gar das uns bekannte irdische Leben von diesen „Grossen Alten“ erschaffen wurde. Während der Expedition entdeckten sie eine Bergkette mit Gipfeln höher als der Himalaya, wo sie zuerst auf merkwürdige Fossilien und später auf ihren wahr gewordenen Albtraum stossen.

Der Cthulhu-Mythos bringt die von einander unabhängigen Werke Lovecrafts in einen grösseren Zusammenhang. Durch die immer wiederkehrenden fabelhaften Wesen wie die „Grossen Alten“, aber auch Orte, Bücher oder Personen, wird eine zweite Ebene geschaffen, auf der man die Werke auch im Gesamten verstehen kann. Auch andere Autoren aus dem Horrorgenre haben Elemente daraus aufgegriffen und teilweise weitergesponnen.
Der Festa Verlag hat in zwei Teilen alle Werke des Cthulhu-Mythos von Lovecraft unter dem Titel Die Chronik des Cthulhu-Mythos 1+2 zusammengefasst und liefert Erläuterungen mit.

Berge des Horrors 

Doch zurück zu Berge des Wahnsinns. Diese Horrorgeschichte hat weit mehr zu bieten als eine Einordnung in diesen Mythos. Besonders zu erwähnen ist die gelungene Beschreibung der eisigen Wüste der Antarktis, deren unglaublichen fiktiven Berge als Schauplatz, aus dem Lovecraft sämtliche Elemente des Horrors hervorzuheben weiss. Wenn der Protagonist in seiner Erzählung die Landschaft beschreibt, erreicht er immer einen Punkt, wo er von der Realität abweicht und ins grotesk-phantastische übergeht. Er hört Stimmen oder Rufe und sieht Bilder, die nicht wirklich da sind. „Von den öden Gipfeln her kam tobend in unregelmässigen Stössen der Furchtbare antarktische Wind, aus dessen Heulen ich hin und wieder ein melodieartiges Pfeifen mit einem ausserordentlich grossen Tonumfang herauszuhören meinte, das mir aufgrund irgendeiner unbewussten Erinnerung beunruhigend und sogar auf eine vage Art furchterregend schien.“ Manchmal sind es auch reale Phänomene, derer er sich bedient wie beispielsweise polarer Luftspiegelungen.

Die Geschichte ist ein langsames Herantasten an diese Welt hinter den Bergen des Wahnsinns. Es erweckt die Neugier beim Lesen, dass Dyer lieber über sein Wissen schweigen würde. Geschickt lässt Lovecraft den Protagonisten vorgreifen und ansatzweise durchscheinen, dass noch mehr passieren wird, um dann wieder ins Jetzt der Erzählung zurückzukommen, was eine spannungserzeugende Wirkung hat. Um diesen phantastischen Bergen ein Bild zu verleihen, verweist der Ich-Erzähler immer wieder auf die Himalaya-Gemälde des russischen Malers Nicholas Roerich.

Um Lovecrafts Werke zu mögen, muss man für seine Auffassung von Horror empfänglich sein. Doch Berge des Wahnsinns ist nicht ganz so mythisch, wie beispielsweise Cthulhus Ruf oder Das Ding auf der Schwelle. Obwohl seine Sprache nicht schwer verständlich ist, erfordern manche Passagen mit wissenschaftlichen Ausschweifungen etwas Durchhaltevermögen. Lässt man sich aber auf die Expedition in die Lovecraftsche Antarktis ein, kann man eine wunderbar schaurige Reise erleben, während man mit einer heissen Schokolade in eine Decke eingerollt am Kaminfeuer sitzt.

Berge des Wahnsinns (Originaltitel: At the Mountains of Madness) von H.P. Lovecraft ist erstmals 1936 in einem amerikanischen Science-Fiction Magazin erschienen.
Der Suhrkamp Verlag hat es 1997 als Taschenbuch herausgebracht, ins Deutsche übersetzt von Rudolf Hermstein, und kostet ca. 14 Franken. 

Nächste Woche reisen wir mit Dominique Götz ins Herz der Schweiz, nämlich nach Bern.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert