Unterwegs

Literarische Regentage in Schottland

Text und Bilder von Dominique Götz, 30. Oktober 2014

Nirgends sind Regentage gemütlicher als in Schottland. In der muffigen Lodge wickle ich mich in eine warme Decke ein und schlage ein schottisches Buch auf. Dazu trinke ich dampfenden Earl Grey  und lasse einen dicken Klumpen handgemachten Whisky-Fudge auf der Zunge zergehen. Dann lese ich bis spät in die Nacht hinein in Gesellschaft eines besänftigenden torfigen Single-Malt.

Regen in Lerags Glen

Kleiner Lobgesang auf die schottische Literatur  

Am dritten Regentag ist’s dann soweit: Ich brauche ein neues Buch. Triefend nass betrete ich die einzige Buchhandlung in Oban und bin überrascht: Es gibt nichts Überwältigenderes als die umfangreiche Auswahl an schottischer Literatur. Dicke Klassiker aus dem 18. und 19. Jahrhundert von Sir Walter Scott wie „Ivanhoe“ oder „Waverely“ bedecken ganze Wände. Daneben Abenteuerromane von Robert Louis Stevenson, wie „Die Schatzinsel“ oder „Peter Pan“ von James Matthew Barrie. Viel Platz nimmt auch die Lyrik ein, insbesondere die Werke in schottischem Dialekt von Robert Burns oder die romantischen Gedichtbände von Lord Byron. 

Caledonia in Oban
Der belebte Hafen in Oban

Beeindruckend ist das grosse Spektrum an Kriminalromanen. Da gibts natürlich die ganz grossen Namen wie Sir Arthur Conan Doyle, der Vater von Sherlock Holmes, oder Ian Rankin mit den Inspektor Rebus-Thrillern. Schottische Krimis sind auch ausserhalb der Landesgrenzen sehr populär. Nicht von ungefähr findet jeden August in Stirling das internationale Krimi-Festival Bloody Scotland statt.

Am längsten durchstöbere ich die voll beladenen Buchständer mit schottischen Bestsellern von zeitgenössischen Autoren, wie Alison Louise Kennedy (Das blaue Buch), Iain Banks (Die Wespenfabrik), Kate Atkinson (Die Unvollendete), Alexander Trocchi (Young Adam) oder IrvineWelsh (Trainspotting). Zur Freude des bärtigen Buchhändlers kaufe ich einen ganzen Stapel Bücher. Dabei war auch mein Lieblungsbuch And the Land Lay Still von James Robertson. Es enthält sämtliche Elemente der schottischen Literaturtradition und ist eine echte Trouvaille.

 Vom Storytelling bis zu Harry Potter

Schottlands Literaturgeschichte begann mit dem auch heute noch aktiv zelebrierten Storytelling und keltischen Liedern. Darauf folgten epische Gedichte und Heiligenlegenden. Der erste überlieferte schottische Text stammt aus dem 14. Jahrhundert und ist das Heldengedicht „The Brus“ von John Barbour zu Ehren seines Königs Robert l.

Uruquhart Castle am Loch Ness 1
Urquhart Castle am Loch Ness, das 1308 von Robert The Bruce erobert wurde.

Edinburgh machte sich im 17. Jahrhundert als eine der ersten Städte einen Namen mit der Kunst des Buchdrucks. Das schuf natürlich ideale Voraussetzungen für die Entwicklung der schottischen Literatur. Schottland ist auch der Ursprungsort der berühmtesten Fälschungen der Literaturgeschichte, den Ossianischen Gesängen von James Macpherson. Mitte des 18. Jahrhunderts gab ein Literaturexperte dem Dichter den Auftrag, keltische Lieder zu sammeln. Da dieser keine fand, hat er sie einfach selbst geschrieben und gab an, sie auf Englisch übersetzt zu haben. Nie hätte Macpherson ahnen können, dass er damit einmal grosse Literaten wie Goethe entzücken würde.

Der National-Dichter Schottlands ist Robert Burns. Mit seinen gefühl- und humorvollen Gedichten ist er zum Symbol schottischer Identität geworden. 1788 entstand seine berühmteste Ballade „Old Long Syne“ (Längst vergangene Zeit). Edwin Morgans klangvolle „Sonnets of Scotland“ aus dem 20. Jahrhundert sind moderne Variationen der Gedichte von Burns und sehr empfehlenswert. Den wichtigsten Platz in der schottisch-britschen Literaturgeschichte nimmt sicherlich Sir Walter Scott ein, der Erfinder des historischen Romans. Nicht nur sein umfangreiches Werk ist faszinierend, sondern auch seine tragische Biografie.

Einerseits waren das politische Streben nach Unabhängigkeit und die Identitätssuche Triebfedern für die schottischen Autoren. Andererseits hat wahrscheinlich die Tradition des Schreibens und Dichtens einen grossen Beitrag geleistet, die Unabhängigkeit und Identität zu wahren, den Nationalstolz zu stärken und die schottische Sprache zu kultivieren. Viel Inspiration für ihre Geschichten lieferten den Autoren bedeutende historische Persönlichkeiten und auch zu einem grossen Teil die schottische Landschaft. Auch J.K. Rowling, zu 25% Schottin, liess sich von Schottland inspirieren und schrieb Ende der 90er-Jahre den ersten Band von Harry Potter im Teehaus „The Elephant“ in Edinburgh.

 Literaturstadt Edinburgh

Die Schotten zelebrieren ihre Literatur und sind stolz auf ihre Schriftsteller. Davon zeugt die lebendige Literaturszene mit einem breiten Angebot an Literaturfestivals, Lesungen, Literatursalons und Museen. Es werden ausserdem jedes Jahr in den verschiedensten Kategorien diverse Literaturpreise verliehen. Es erstaunt also nicht, dass Edinburgh 2004 von der UNESCO zur City of Literature ernannt wurde.

Writers Museum

Besonders beliebt bei den Touristen sind die Stadtrundgänge auf den Spuren berühmter schottischer Autoren. Oder das Writer’s Museum, welches einen guten Einstieg bietet in die Literaturgeschichte Schottlands. Dieses charmante Museum beherbergt eine permanente Ausstellung über die Schriftsteller Robert Burns, Sir Walter Scott und Robert Louis Stevenson. Es sind unter anderem alte Originalschriftstücke und Fotografien ausgestellt. Wer sich für die Tradition des Storytelling interessiert, sollte auch das mittelalterliche John Knox House besuchen.

Übrigens: ganz in der Nähe vom John Knox House befindet sich das Restaurant „Wedgewood„. Dort gibts eine grosse Auswahl an schottischen Ales, unter anderem ein Hopfengebräu mit Algen! Nach dem ersten Gang wird einem ein „pallet-cleanser offeriert: ein Gaumenreiniger! Ein spritziger Drink mit Sekt und Beerenemulsion und anderen anregenden Zutaten. Die schottisch-internationale Speisekarte und die Namen der Ales sind reinste Poesie.

 

Und zu guter Letzt noch zwei Regentag-Trouvaillen:

Scotch on the Rock mit gesammelten Single Malts
Scotch On The Rocks mit gesammelten Whiskys

SCOTCH ON THE ROCKS von Roy McCormick, 2013, 281 Seiten, ca. 14 Fr.

In diesem humorvollen Roman geht es um eine Whisky-Destillerie. Eine Geschichte über Rivalitäten, Betrug, Industriespionage, persönliche Disaster und Rache. Eine PR-Managerin aus England macht den schottischen Whiskybrennern Ärger, denn sie will das „Visitor’s Centre“ modernisieren. Dabei geht es drunter und drüber. Diese Geschichte war ursprünglich ein Theaterstück und war so erfolgreich, dass es zu einem Roman umgeschrieben wurde. Ein Buch für Leute, die gerne Tränen lachen. Es ist leichtverdaulich und in einem gut verständlichen Englisch geschrieben.

Columba
Kolumban am Loch Ness

COLUMBA AND ALL THAT, Allan Burnett, 2007, Birlinn Limited, 104 Seiten, ca. 12 Fr.

Dieses unterhaltsame Geschichtsbuch haben wir am Loch Ness im Gift-Shop des Urquhart Castle gefunden. Es ist für Jugendliche, die ihr Englisch üben wollen, und vorallem für Lesemuffel bestens geeignet. Auf humoristische Art und in der Jugendsprache wird die Geschichte des irischen Mönchs Kolumban, „…the first tourist in Scottland…“ erzählt, der nach Schottland reist und bald als Heiliger verehrt wird. Die Geschichte ist untermalt mit Comics und vielen Bildern. Das Buch erzählt, wie der heilige Columban mit dem Monster von Loch Ness gekämpft hat. Und es berichtet über den Krönungssteins, den „Stone of destiny“ der schottischen Könige. Von Allan Burnett gibt es eine ganze Serie dieser AND ALL THAT-Bücher über schottische Helden: Robert The Bruce, Rob Roy, William Wallace, Robert Burns, MacBeth, Mary Queen of Scots und Bonnie Prince Charlie.

Am nächsten Freitag geht es mit Daniel Meister nochmals kreuz und quer durch Südamerika.

 

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