Unterwegs

Der Selbstmord ist eine Antwort

Text und Bilder von Jana Kilchenmann, 24. Oktober 2014

Es ist ein Thema über das man sich nicht zu sprechen traut. Nur schon: Wie anfangen? Zu sensibel. Zu unangenehm. Lieber schweigen. Lukas Bärfuss hält sich in „Koala“ nicht ans Schweigen. 

Denn: „Wenn geschwiegen wird, muss geschrieben werden.“ – mit diesen Worten eröffnete Moderator Balts Nill die 6. Nacht der B-Lesenen im Yehudi Menuhin Forum in Bern. Die fünf Nominierten des Schweizer Buchpreises 2014  lasen dort am vergangenen Freitag aus ihren Werken vor. Mit etwas zerzausten Haaren, schwarz-weiss gestreiftem Longsleeve und schwarzem Sakko setzt sich Lukas Bärfuss als Erster ans Mikrofon. Ein rasches „Hallo Bärn“ und das Publikum ist mit ihm.

Bärfuss’ zweiter Roman „Koala“ enthält eine Rahmen- und eine Binnengeschichte. Erstere ist aus der Ich-Perspektive erzählt. Entgegen der Gewohnheiten in der Literatur entspricht der Ich-Erzähler dem Autor.
In „Koala“ geht es um ein Thema, das in der Schweizer Gesellschaft präsent ist und trotzdem beschwiegen wird: Der Selbstmord. Und genau so nennt Bärfuss ihn auch. Jedes Mal. Er verwendet keine beschönigenden Ausdrücke wie „Suizid“.Genauer gesagt, geht es um den Selbstmord seines Halbbruders, dessen Name dem Leser unbekannt bleibt. Die Erzählung beginnt an dem Tag, an dem die beiden sich das letzte Mal gesehen hatten, in ihrer gemeinsamen Geburtsstadt Thun, wo der Bruder, im Gegensatz zu Bärfuss, sein ganzes Leben verbracht hatte. Sie hatten eine eher lose Verbindung zueinander, die Vertrautheit zwischen den Brüdern beschränkte sich „auf ein komplizenhaftes Schweigen, ein Reden in Andeutungen, das niemals auf den Grund der Dinge stiess“.

DSC_0410Nach dem Tod des Bruders veränderte sich alles im Leben des Protagonisten. Der Selbstmord liess, präzise geplant und vorbereitet wie er war, viele Fragen unbeantwortet. Für den Schriftsteller und Dramaturgen war er aber auch die Antwort auf eine Frage. „Bis in den Sommer suchte ich nach einer Frage auf die Antwort, die er uns allen gegeben hatte.“
Doch in seinem Umfeld stiess er lediglich auf unangenehmes Schweigen, in das er sich, nach aussen hin, ebenfalls irgendwann hüllte. „Der Selbstmord sprach für sich, er brauchte keine Stimme, und er brauchte keinen Erzähler“, heisst es im Buch. Lukas Bärfuss wollte die Gründe für dieses Schweigen finden und tauchte ein in die Welt der antiken Literatur und studierte einschlägige Berichte von Nervenärzten. Doch er fand nichts, was sich auf seinen Bruder hätte übertragen lassen. An dieser Stelle fand der Autor sehr präzise Worte, um den gesellschaftlichen Umgang mit dem Suizid zu analysieren. Denn das mahlen seiner Gedanken, welche sich immer um seinen Bruder drehten, konnte er nicht stoppen, nur darüber zu reden war unmöglich.

Unweigerlich kommt er aber mit Freunden seines Bruders auch auf das Totem zu sprechen, das dieser bei den Pfadfindern mittels eines Rituals als geheimen Namen erhielt: nämlich den Koala aus Australien, der im ganzen Buch umschrieben und nicht benannt wird. Der Junge hätte sich viel mehr ein Tier als Totem gewünscht, das gefährlich und stark ist, einen Panther oder so. Er tat sich schwer, sich mit dem schläfrigen, verfressenen und harmlosen Gesellen zu identifizieren und wunderte sich darüber, wie seine Freunde ihn damit in Verbindung bringen konnten.

In der Mitte des Buches nimmt uns der Autor auf einen langen Exkurs über die Kolonisierung Australiens, von dem man erst auf den letzten Seiten zurückkehrt. Bärfuss verknüpft die Kolonisierung geschickt mit der Geschichte der Koalas und kann mehr und mehr Charakterzüge seines Bruders in diesem Tier erkennen.

Im Ganzen lässt sich ein noch grösserer Zusammenhang erschliessen. Denn schlussendlich werden zwischen den Zeilen ständig Tugenden gegeneinander abgewogen: Ehrgeiz gegen Gleichgültigkeit, Bedrohung gegen Harmlosigkeit. Was ist man bereit aufzugeben für etwas Unsicheres aber möglicherweise Besseres? Wann ist man an dem Punkt angelangt, das Leben gegen den Tod zu einzutauschen? Unter diesem Dach beziehen sich die einzelnen Handlungen der Rahmen- und Binnenhandlung aufeinander. Gleichzeitig steht der lange Exkurs auch für die Tabuisierung des Suizids. So wechselt Bärfuss einfach das Thema, bleibt beim Totem hängen, anstatt über seinen Bruder zu schreiben.

Der Roman ist stark komponiert, inhaltlich dicht und kompakt aufgebaut. Bärfuss gelingt es, sehr feinfühlig über das Thema Selbstmord zu schreiben und dabei Kritik anzubringen an unserer Gesellschaft, die die Mitmenschen am immer gleichen Massstab misst.

Der Schweizer Schriftsteller und Dramaturg Lukas Bärfuss wurde mit Theaterstücken wie „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ bekannt. Sein erster Roman „Hundert Tage“ thematisiert den Völkermord in Ruanda und wirft einen kritischen Blick auf die Entwicklungshilfe aus der Schweiz. Er ist 2008 ebenfalls beim Wallstein Verlag erschienen.

Auch in den anderen vier nominierten Büchern vom Schweizer Buchpreis 2014 geht es in irgend einer Form darum, das Schweigen zu brechen, über Tabu-Grenzen hinaus zu schreiben, und genau das macht diese Bücher relevant.

Thunersee
Der Thunersee, in der Ferne Eiger, Mönch und Jungfrau

„Koala“ von Lukas Bärfuss ist 2014 im Wallstein Verlag Göttingen erschienen und kostet gebunden 28 Franken.

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