Sommerliches

Flughafenfische

Text und Bilder von Dominique Götz, 10. September 2014

„Haben sie sich jemals Gedanken gemacht über die komplizierte, die letztlich unbegreifbare Lebensgemeinschaft eines Korallenriffs? Und das in der Transithalle eines Flughafens?“

Die deutsche Journalistin und Schriftstellerin Angelika Overath entdeckte am Flughafen Heathrow ein Aquarium und das inspirierte sie, ihren zweiten Roman zu schreiben über „das schönste Aquarium, das es gibt“. Fast fünf Jahre lang setzte sie sich täglich mit der Geschichte der „Flughafenfische“ auseinander. Sie recherchierte in Aquarien in Amsterdam, Basel, Berlin und Hannover. Sie begleitete vier Tage lang einen Aquaristen des Münchner Tierparks und interviewte eine Zoo-Aquaristin in Stuttgart. Ausserdem las sie aquaristische Fachliteratur. Und sie streifte an Flughäfen umher und sprach mit einem Piloten. „Es war eine Zeit des Grössenwahns“, beschreibt Angelika Overath selber diesen Schreibprozess „In den Fluchten des Flughafens, im hohen Aquarium entstand eine rhythmisierte Welt aus Fischen und Fiktionen…Auch mein Text war ein Aquarium, ein künstlicher Raum, der lebte. Und wie ein Aquarist beobachtete ich Wörter, gab ihnen den Sauerstoff der Ideen und das Futter klanglicher Korrespondenz.“

 Chöre aus Atlantis

Der Ausgangspunkt der Geschichte ist ein grosses Aquarium, das sich dank der behutsamen Pflege von Tobias Winter zu einem spektakulären Riffaquarium entwickelt. Er hatte vielfarbige Fische aus verschiedenen Ozeanen aufgenommen, die Chöre aus Atlantis: „Steinkorallen, Weichkorallen, pumpende Xenien, geweihstolze Gorgonien, Anemonen Fische, Fische über fliessende Gärten von Blumentieren…“

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Durch das Aquarium hindurch beobachtet der ehemalige Schreiner die Reisenden: „Wenn sie herabkamen aus der Höhe der gläsernen Halle, Flügellahme auf elektrischen Treppen, über mobile Bänder gleitend mit ihren Rollkoffern, registrierte er sie als Schwarm. …Diese Reisenden kamen ihm unter als Umgeleitete, Verirrte aus allen Kontinenten, ein exotischer Fang.“ Und Tobias Winter sammelt ihre Müdigkeiten. So wie sich in seinem Aquarium die Wasser der Welt sammeln.

 Flughafen-Fatamorgana

Auch in der Transithalle unterwegs ist die erschöpfte Fotografin Elis. Sie vermisst ihren Ex-Geliebten, einen Piloten. Und vor allem: „Seine perfekt fallenden, grosszügigen Hemden, die vorgaben, sie seien einfach, bügelfrei. Und er war ja auch ein bügelfreier Mann gewesen, ein scheinbar unangestrengt schöner Mann, der in kompatiblen Welten lebte, staublos, schimmernd.“

Ihr Weg führt sie an der dritten Figur des Romans vorbei, einem sich langsam betrinkenden Raucher. „Wie im Zoo, dachte Elis. Da inhalierten exotische Rauchertierchen. Umflorte Lemuren, Wildheit als kleine Sucht im Blick.“ Wie die Fische im Aquarium ist auch dieser Geschäftsreisende eingesperrt in einem „Glaskasten mit Plastiktüren, die sofort zuklappen, damit der Qualm drinnen bleibt. Klarer Fall von Mobbing. Eine Demütigung.“ Seine Frau hat ihn verlassen und er steckt wie immer fest. „Ja sie wäre gerne mehr mit mir gereist. Aber ich konnte sie nicht mitnehmen. Die ewigen Kongresse. Flughäfen, die alle gleich aussehen, Kongresszentren….Hotels derselben Kette. Alles austauschbar.“ Der Raucher ertrinkt in seiner Verzweiflung und kann nicht mehr gerettet werden. Elis aber strandet beim Aquarium, das ihr vorkommt wie eine „Flughafen-Fatamorgana“. Sie ist eine der seltenen Transitpassagiere, die genauer hinsieht und schliesslich bei Tobias Winter Zuflucht findet.

Gesammelte Wortperlen

In Overaths Roman kreuzen sich die Schicksale dieser drei Menschen. Sie spinnt den narrativen Faden, indem sie die drei Protagonisten einerseits ihre Beobachtungen beschreiben lässt, aber auch deren inneren Monologe erzählt. Dabei verwebt sie geschickt das Innen-und Aussenleben der drei einsamen Figuren zu einem einzigartigen literarischen Kunstwerk. Es gelingt der Autorin mit einem gewaltigen Sprachreichtum, den Leser tief in den Flughafen eintauchen zu lassen. Sie gibt den Dingen neue Namen, die überraschen und genau richtig klingen. Es ist ein kurzer, aber dichter Roman voller gesammelter Wortperlen, die einem süchtig machen, so dass man ganze Buchpassagen immer wieder liest, ohne sich je zu langweilen.

Angelika Overaths langjährige Erfahrung als Journalistin gibt diesem Roman Tiefe. Denn durch ihre umfangreichen Recherchen liest sich das Buch stellenweise fast wie eine Reportage. Die nur 173 Seiten enthalten eine geballte Ladung an farbiger Meeresbiologie und philosophischen Betrachtungen. Overaths Schreibrhythmus wirkt dabei wie die Strömung der Aquariumpumpe: In kurzen Kapiteln regelmässig sprudelnd, produziert sie viel Sauerstoff für die Seele. Kein Wunder also, dass dieser Roman sowohl für den Deutschen als auch den Schweizer Buchpreis nominiert wurde. „Flughafenfische“ ist für Reisende, aber auch Daheimgebliebene empfehlenswert, denn es schürt gleichermassen die Sehnsucht nach Heimat und Exotik, nach Liebe und Freiheit.

Angelika Overath, Flughafenfische, Taschenbuchausgabe Oktober 2011, btb Verlag, 15.80 Franken

Die Zitate von Angelika Overath über die Arbeit an ihrem Buch „Flughafenfische“ sind aus dem Buch: „Fliessendes Land“ aus dem Kapitel „Das Buch gehört dem König!“, Geschichten vom Schreiben und Reisen, 2012 Luchterhand Literaturverlag München

Bilder von Dominique Götz aus dem Aquarium des Zoo Basel

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