Reiseabenteuer

Sie dreht sich um

Text und Bilder von Dominique Götz

Mit Spannung haben Overath-Fans ihren neusten Roman erwartet. Und heute ist die Autorin Gast im Literaturhaus Basel, um aus ihrem aktuellsten Werk zu lesen und darüber zu sprechen. Und das ist auch nötig, denn das Buch mit dem sperrigen Titel ist eine Enttäuschung, aber nur auf den ersten Blick.

 Unter grellen Scheinwerfern an einem dunklen Tisch liest die zierliche 57-jährige Deutsche den Anfang ihres neuen Romans. Ihre Stimme tönt erstaunlich jung und frisch und angenehm unaufdringlich. Und überraschend feminin, ganz im Gegensatz zu ihren schwarzen Kleidern und ihrem burschikosen Kurzhaarschnitt.Die Stimme dieser routinierten Vorleserin schafft, was die Stimme der Autorin nicht konnte, nämlich die sterile Protagonistin zum Leben zu erwecken. Neben Overath sitzt der bekannte Schweizer DRS-Kulturmoderator Iso Camartin, seinerseits Publizist und Schriftsteller, neben einem grossen Strauss Sonnenblumen und nickt ab und zu anerkennend mit dem Kopf. Eine kultivierte Szene, wie aus einer Overath-Geschichte.  

Bilder als Schrittmacher

Die Hauptfigur, Anna Michaelis, wird von ihrem Mann betrogen. „Ein trivialer Ausgangspunkt. Absolut uninteressant“, findet Camartin. „Das Faszinierende ist, wie Anna darauf reagiert. Denn sie reist ab und findet unerwartete Lebenshilfe in der Kunst, in Form von Bildern.“ Anna Michaelis packt ihren Koffer und nimmt den erstbesten Flug nach Edingburgh. In der Nationalgalerie vor einem Gaugin-Gemälde beginnt für sie ein Spiel. Overath ergänzt dazu: „Sieben Bilder sind Schrittmacher für das Vorankommen in der Krise. Durch das Hinschauen, kann Anna sich wegschauen. Die Frauen auf den Bildern drehen sich um und sprechen zu Anna. Dabei sind die Ich-Figuren der Bilder das Gegen-Ich zu Anna. Und diese Figuren sind zuversichtlich und vermitteln Selbstvertrauen.

„Damit das Bild sprach, musste sie es genau anschauen. Konnte sie es zur Rede stellen? Sie schluckte. Und doch gehörte wohl das Loslassen, die Demut vor dem Zufall zum Spiel. Letztlich habe ich keine Ahnung, wie es geht, dachte sie.“

Eine grosse Sehschule

Angelika Overath beweist auch in ihrem dritten Roman, dass sie eine aussergewöhnliche Beobachtungsgabe hat. Sie beschreibt detailgetreu Bilder, aber auch Stimmungen in verschiedensten Städten und Hotels, wo Anna sich treiben lässt. Und das so, wie es Iso Camartin beschreibt: „In einer einladenden Schreibweise.“ Und er findet: „Das Buch ist für mich eine grosse Sehschule.“ Die Schriftstellerin wird dabei zur Dozentin für Kunstgeschichte. Das Buch leidet ein wenig unter dieser déformation professionelle der Journalistin Overath. Nach spätestens vier Bildern wünschen sich wahrscheinlich nicht wenige LeserInnen weit weg von den Kunstmuseen in ein anderes Umfeld. Und das liegt vorwiegend am konzeptuellen Problem dieses Romans: Die Geschichte enthält seitenweise Beschreibungen von Kunstgemälden. Wer die Bilder kennt, wird sich langweilen. Wer die Bilder nicht kennt, bleibt unzufrieden und muss sie im Internet runterladen, denn die Beschreibungen bleiben Collagen. Die sich umdrehenden porträtierten Frauen aus den Bildern, die zu Anna sprechen, erzählen aus den Biografien der Künstler. Je nach Vorwissen und Interesse kann man dies spannend finden oder eben nicht. Es gibt einige anspruchsvolle Kapitel, wie das über ein Bild von Paul Gaugin, wo Jakob mit dem Engel kämpft. Anna recherchiert über den Bibeltext im Internet und lernt von Jakob, dass man kämpfen muss, um den Segen eines neuen Namens zu bekommen.

Für eine Überraschung sorgt die Sex-Szene mit dem blauen Mann in Kopenhagen, den die Fünfzigjährige vor dem Bild „Artemis“ des dänischen Malers Vilhelm Hammershoi trifft. Dies ist übrigens die erste und einzige erotische Szene, die Overath je geschrieben hat. Die Autorin selber erklärt diesen Seitensprung so: „Meine Tochter hat mich gebeten, einmal eine Sex-Szene zu schreiben. Ich fragte sie, ob erotisch oder pornografisch. Sie meinte, das spiele keine Rolle, ich könne das sowieso nicht. Aber ich hab‘s dann gemacht und es ist soweit gelungen.“  Kein Wunder also, dass dieses Kapitel etwas konstruiert und künstlich wirkt. Vielleicht ist es aber einfach ungewohnt, in Overaths Buch über eine erotische Szene zu stolpern. 

Die reisende Trivialmystikerin

Overath bezeichnet Anna Michaelis als Trivialmystikerin. Damit bringt es die Autorin auf den Punkt. Dem ganzen Buch inklusive Titel liegt eine gewisse Trivialität zu Grunde, die es bis zum Schluss nicht abschütteln kann. Wie beispielsweise die Geschichte der kleinen Meerjungfrau in Kopenhagen, die etwas kitschig wirkt und keine neuen Erkenntnisse birgt. Dasselbe gilt für den „Quasi-Olm“, einer Figur, die Annas Kindheitsängste verkörpert. Im Gegensatz zu ihrem ersten Roman „Nahe Tage“, einer Mutter-Tochter Geschichte, die sehr tiefgründig ist und viel Betroffenheit auslöste, bleibt ihr dritter Roman an der Oberfläche der Bilder hängen. Die hyperrealistischen Beobachtungen der Reportage-Journalistin Anna Michaelis, verstellen den Blick in die Tiefen der verletzten Seele einer verlassenen Frau, die mit sich und dem Leben hadert. Bald einmal kommt das Gefühl auf, dass die Hauptprotagonistin die passive Rolle der Übermittlerin übernimmt für eine Überdosis an Overath-Themen. Das macht sie zu einer langweiligen Figur. Sie ist nicht wütend, sie rastet nicht aus. Nein, sie besucht Galerien, schaut Bilder an und trinkt am Abend Wein oder legt sich ins Bett. Sie ist unerträglich reflektiert und vernünftig.

„Ich bin Anna, dachte sie, immer noch. Oder zumindest versuchte sie, so zu denken, als sei ihr Rufname ein Halt. Aber etwas war weggebrochen. Ein im Gedankenlosen eines Ehealltags gar nicht bemerktes Geländer von Gewöhnung und Vertrauen.“

Stilleben um Stilleben

Die Kapitel des Buches sind in Bilder und Tage aufgeteilt. Sie wirken wie Stilleben: Farbige Kompositionsstudien von Gemälden und Städten. Dazu Rückblenden in Annas Jugend und ihre Tätigkeit als Reporterin. Wobei einzelne Sequenzen zu langfädig sind, wie beispielsweise die wilde Vespa-Fahrt im Regen nach Paris. Oder es gibt Abschnitte, die zu fragmentarisch wirken, zu weit hergeholt und die nicht richtig in die Geschichte passen. So geht es beispielsweise über den Duft eines Parfüms vom „Segantini-Museum“ in St. Moritz nach Arkadien in Griechenland. Von Boston rollt die Geschichte mit dem „Greyhound“ nach Plymouth ins Freilichtmuseum und dann über einen Erinnerungsfetzen bis in den Süden Chinas auf eine Hochebene, wo das Volk Yi lebt, und wo es aussieht wie auf einem Bild von Vermeer. Das Buch wird durch diese vielen und manchmal abrupten Szenenwechsel zur interkontinentalen Reise durch die Gegenwart und in die Vergangenheit. Das fordert dem Leser einiges ab und ist ermüdend. Dabei denkt Anna: „War nicht jede Ehe ein interkontinentaler Staat?“

Idealerweise liest man diesen Roman im Schritttempo, höchstens ein Kapitel pro Tag. Denn das Buch ist eine farbige Overath-Explosion in extremis. Es braucht Pausen zwischen den Bildern und den Museen. Wie bei einem Stilleben braucht man Zeit, um es zu betrachten und es auf sich wirken zu lassen. Denn das Wesentliche erschliesst sich einem erst auf den zweiten Blick. Und der ist nötig und lohnt sich immer.  

Wie eine alte Freundin

Bei „Sie dreht sich um“ kommt einem der Verdacht, dass die Autorin ihren ganzen Erfahrungsschatz reingepackt hat. Es gibt viele Parallelen von Anna Michaelis zum Lebenslauf von Angelika Overath. Sie ist wie die Autorin Reportage-Journalistin, mit einem Sprachwissenschaftler verheiratet und hat eine enge Beziehung zu ihrer Tochter. Und sie liebt Kunst über alles. Überall, wo Anna Michaelis hinreist, war auch die Autorin auf Reportage oder hat dort gelebt, wie in Griechenland oder im Engadin. Sie schreibt auch über Themen, über die sie schon in anderen Romanen oder Essays berichtet hat. Die Klangfarbe dieses Romans hat eine starke Verwandtschaft mit den andern Overath-Büchern und ist leicht erkennbar. Darum liest sich ihr dritter Roman so, wie wenn wir eine alte Freundin treffen, die Vieles erzählt, was wir schon einmal gehört haben. Aber wir sind trotzdem gerne mit ihr zusammen, weil wir sie mögen und ihre Stimme lieben.

Nach dOverath signiert Bücher im Literaturhaus Baseler Lesung leert sich der heisse und überfüllte Saal nur langsam.Der Ansturm am Büchertisch bleibt aus. Aber vor Angelika Overath bildet sich eine kleine Schlange von Fans, die ihre Bücher signieren lassen wollen. “Was soll ich schreiben? Das Datum? Tut mir leid, ich kann mich nicht mehr konzentrieren.“ Overaths Füllfeder kratzt ungelenk über das Papier. Trotz ihrer Erschöpfung, wendet sie sich jeder Person zu und spricht ein paar freundliche Worte. 

„Sie dreht sich um“ von Angelika Overath, 279 Seiten, 2014 Luchterhand Literaturverlag, München

Angelika Overath ist Journalistin, Essayistin, Literaturkritikerin und Romanautorin. Sie ist 1957 in Karlsruhe geboren und studierte in Tübingen Germanistik, Geschichte, Italianistik und Empirische Kulturwissenschaften. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Seit 2007 lebt sie mit ihrem Ehemann Manfred Koch (einem Literaturwissenschaftler) und ihrem jüngsten Sohn in Sent, Kanton Graubünden. Über den Alltag in Sent schrieb sie in ihrem Tagebuch, „Alle Farben des Schnees“, das 2010 publiziert wurde. 2012 veröffentlichte sie zusammen mit Manfred Koch und ihrer Tochter Silvia Overath das Kochbuch „Tafelrunde, Schriftsteller kochen für ihre Freunde“.

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Alle ihre Bücher, auch ihr erster Roman „Nahe Tage“ in 2005, sind im Luchterhand Literaturverlag erschienen. Angelika Overath arbeitet ausserdem als Dozentin für kreatives Schreiben am Medienausbildungszentrum (MAZ) in Luzern. Sie ist ein grosses Vorbild für Journalismus-Studierende, denn sie verfügt über eine einzigartige Beobachtungsgabe und einen einzigartigen Schreibstil. Und sie zeigt Ausdauer und Geduld beim Recherchieren. Ihre literarischen Reportagen, für die sie 1996 mit dem “Egon-Erwin-Kisch- Preis“ ausgezeichnet wurde,  erschienen unter anderem in der „NZZ & NZZ am Sonntag“, „der Zeit“, im „Magazin“, und im „GEO“. Einige ihrer Reportagen sind 2012 im Buch „Fliessendes Land, Geschichten vom Schreiben und Reisen“ erschienen. Sie wurde mit literarischen Preisen überhäuft. Die hat sie alle verdient, denn sie ist eine ganz Grosse der deutschen Literaturszene. Vielleicht die markanteste Stimme im deutschsprachigen Raum: Eine Meisterin der Schreibkunst.

 

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